Digitalisierung – eine soziale Frage?

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Digitalisierung ist in aller Munde. Ein Wort, das für Wandel, für Veränderung steht. Denn mit Digitalisierung soll alles schneller, besser, leistungsfähiger werden. Doch damit verbunden sind oftmals hohe Anschaffungskosten, um am Puls der Zeit agieren zu können. Damit wird Digitalisierung zu einer sozialen Frage.

Digitalisierung in Coronazeiten

Vieles musste durch die Corona-Pandemie plötzlich umgestellt werden: von analog zu digital, von offline zu online und von persönlich zu medial. Dadurch waren Privatpersonen, Einrichtungen, Unternehmen und viele mehr gezwungen, ihre Kommunikation und ihre Angebote umzustellen. Diese Krise begründete somit einen enormen Digitalisierungsschub im Vergleich zu den Jahren zuvor. Dieser wurde jedoch untermalt von vielen Hürden und Problemen, die aufzeigen, dass Deutschland im Ausbau der digitalen Infrastruktur weit hinter den anderen OECD-Staaten liegt. Dies zeigt u.a. ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), in dem es um die Lehren aus der Corona-Krise hinsichtlich der Digitalisierung in Deutschland geht.

Digitalisierung muss also einerseits in öffentlichen Einrichtungen, Unternehmen oder Institutionen vorangetrieben werden. Andererseits verändert sich mit dem Digitalisierungsschub auch das Verhalten der Konsument:innen: Streaming-Dienste erreichten durch den Lockdown neue Spitzenwerte. Aber auch Sprachassistenten und digitale Lernangebote und Online-Bestellungen von Dienstleistungen nahmen zu (s. Digitalindex 2020/21 der Initiative D21, S. 20). Voraussetzung all dessen waren massive Investitionen von Ländern, Kommunen und Unternehmen, um in allen Bereichen eine digitale Infrastruktur zu ermöglichen. Aber auch private Haushalte mussten oft neue Geräte anschaffen, um digital mithalten zu können (ebd., S. 18 f.).

Rasanter Fortschritt

Denn immer schon gilt: Wer vernetzt sein will, braucht ein passendes Endgerät. Das galt schon bei der Erfindung des Telefons 1861. Allerdings zeigt die Digitalisierung nochmals deutlicher auf, wie schnell sich Technologien und Nutzungsweisen verändern. Entwicklungen verlaufen nicht mehr allmählich, sondern sprunghaft bzw. disruptiv. 1976 wurde mit dem Apple 1 der erste Personal Computer (PC) vorgestellt, der über eine Tastatur und Bildschirm verfügte. Die 666 $ Anschaffungskosten entsprächen inflationsbereinigt knapp 3.000 Euro heute. Fortschritt durch die Anschaffung entsprechender Geräte ist also immer eine Frage des Geldes. Innerhalb von fünf Jahren wurden die Geräte immer leistungsfähiger bzw. bei gleicher Leistung erschwinglicher: Im Jahr 2020 besaßen rund 91,9 % der Privathaushalte in Deutschland einen Computer oder ein Tablet. Allerdings führen die schnellen Innovationszyklen zu einem häufigen Austausch von Geräten, einerseits durch steigende Anforderungen neuer Funktionen an die Technik, andererseits aber auch, weil Smartphones und andere technische Geräte Statussymbole sind.

Das belastet unsere Umwelt stark. Die meisten elektronischen Geräte (und damit wertvolle Rohstoffe) werden nicht mehr weiter- oder wiederverwendet. Gleichzeitig wächst der Bedarf an den für die Produktion nötigen Rohstoffen. Mehr zu diesem Thema in unserem Beitrag Artikel „Nachhaltigkeit beim mobilen Alleskönner“.

Digitalisierung und ihre Kosten

Gleichzeitig stellt die Digitalisierung für viele auch eine finanzielle Hürde dar. Denn problematisch wird es dann, wenn die gesellschaftliche Relevanz digitaler Endgeräte immer größer wird, Einzelnen aber für die Anschaffung von Geräten kein Geld zur Verfügung steht. Außerdem reicht es nicht, ein (Mobil-)Gerät zu besitzen. Darüber hinaus bedarf es auch eines passenden Vertrags zur Ausstattung mit einem Internetzugang – und der will regelmäßig bezahlt werden. Kommt es zu finanziellen Einschnitten beispielsweise durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder andere lebensverändernde Umstände, kann das zu Zahlungsschwierigkeiten führen.

Und bereits beim Abschluss von Verträgen locken beispielsweise Mobilfunkanbieter mit auf den ersten Blick günstigen Preisen, die aber die Folgekosten nicht immer deutlich erkennen lassen. Die Verbraucherzentralen geben hierzu einen Überblick zu den Vor- und Nachteilen z.B. von Handyvertragsmodellen.

In-App-Käufe

In den letzten Jahren hat sich vor allem durch die Verbreitung von Smartphones und die damit verbundenen App Stores sowie durch die Online-Angebote von Software als Dienstleistung (Software as a service, SAAS) eine weitere kostenträchtige Veränderung entwickelt. Wurde Software früher noch regelmäßig durch Zahlung eines einmaligen Preises gekauft, haben sich inzwischen immer mehr Mietmodelle verbreitet, die eine regelmäßige jährliche oder monatliche Zahlung nach sich ziehen. Außerdem werden Konsument:innen bei der Nutzung von Apps häufig mit der Möglichkeit von In-App-Käufen konfrontiert. Gerade in Online-Spielen gibt es sogenannte In-Games-Käufe, mit denen zusätzliche Elemente gekauft werden können, ohne die das Spiel ab einem bestimmten Level meist keinen Spaß mehr macht, da der Fortschritt ausbleibt.

Neben Anschaffungskosten für Endgeräte und laufende Kosten für Internetverträge kommen also noch eine Reihe weiterer Kosten auf Nutzer:innen zu. Was zu Beginn noch unproblematisch aussieht, kann zum Problem werden, wenn sich die Kosten im Laufe der Nutzung aufaddieren. Und wenn dann noch finanzielle Mittel fehlen, weil das Taschengeld aufgebraucht ist oder das Haushaltseinkommen ausgereizt, wird es durch Mahngebührenkosten, Vollstreckungskosten sowie Inkassokosten noch deutlich teuer. Spätestens dann ist professionelle Hilfe ratsam, z.B. durch eine Schuldnerberatung von Caritas oder Diakonie.

Digitalisierung als soziale Frage

Wer in einer (post-)modernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert partizipieren will, kann sich der Digitalisierung nicht verschließen. Und das bedeutet dann eben individuell zu bewältigende Kosten für nötige Endgeräte und Netzzugänge. Dies muss noch kein Verschuldungsrisiko bedeuten, kann aber je nach Haushaltseinkommen durchaus schon ein Problem werden. Die genannten möglichen Folgekosten vergrößern das Problem, zumal es ja nicht nur um notwendige Teilhabe geht, sondern immer auch um Statussymbole: Wer will sich schon gerne nachsagen lassen, nicht mitreden zu können.

Das potenzielle Dilemma lässt sich nicht einseitig auflösen: Gesellschaftliche Teilhabe setzt in allen Lebensbereichen in der Regel die Nutzung entsprechender Endgeräte und kostenpflichtiger Anschlüsse sowie Software voraus. Wer dabei nicht in Kostenfallen laufen will, braucht neben Medienkompetenz auch finanzielle Handlungskompetenz.

Dementsprechend formuliert die Publizistische Kommission der Deutschen Bischofskonferenz in ihrem Thesenpapier zum Thema „Digitalität und Künstliche Intelligenz“: „Digitalität und Künstliche Intelligenz sind in mehrfacher Hinsicht neuer Ausdruck der alten sozialen Frage. Sie können Werkzeuge für Kommunikation und Partizipation sein, setzen aber entsprechende Bildung voraus. Andernfalls tendieren sie dazu, soziale Spaltung und Diskriminierung nachhaltig zu vertiefen. Umso drängender ist die Frage, wie sie für die Beseitigung von Armut, Benachteiligung und Unterdrückung nutzbar gemacht werden können.

Bedingungen dafür, dass Digitalisierung zu gerechteren Lebensverhältnissen führt, sind Zugangs- und Teilhabegerechtigkeit sowie Medienbildung bzw. Medienkompetenz. Schließlich sind Bildung mit dem Ziel der Mündigkeit und Verantwortung sowie Partizipation aller wichtige Schlüssel für eine konstruktive Entwicklung von Kirche und Gesellschaft.“

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Ausblick

Die Forderung nach Teilhabegerechtigkeit, also einer Überprüfung der Zugangsmöglichkeiten mit dem Ziel einer umfassenderen Teilhabe aller, öffnet aber auch noch einmal den Blick für Alternativen. So wäre es z.B. sehr wünschenswert, wenn in den App Stores sowie bei Telefonverträgen mehr Transparenz herrschte, sodass aktuelle und künftige Kosten auf einen Blick deutlich werden.

Darüber hinaus könnte auch die Verwendung von Handys über einen längeren Zeitraum sinnvoll sein, sowohl aus Kostenfaktoren als auch aus Gründen der Nachhaltigkeit. Und wie wäre es denn mit der Nutzung von – auch datenschutzfreundlichen – Alternativen zu den bekannten Software-Angeboten der großen Internetkonzerne? Warum eigentlich nicht als Kirchen offene WLAN-Netze anbieten, um auch den Menschen Netzzugänge zu ermöglichen, die sich keine schnellen und umfassenden Datenverträge leisten können? Oder gar als öffentliche Bücherei kostenfreie Internetzugänge anzubieten – womöglich kombiniert mit kompetenten Beratungsangeboten? Was die Frage der Rolle der Kirchen in der digitalen Gesellschaft angeht, gibt es noch eine Reihe von Entwicklungsmöglichkeiten!

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