Politische Medienbildung: Austausch und Synergien schaffen

Politische Medienbildung (Symbolbild)
Foto: Andreas Büsch – CC 4.0 BY-SA

„Die Kommission für den 16. Kinder- und Jugendbericht empfiehlt eine konsequente Verschränkung von politischer Bildung und kritischer Medienbildung. Diese politische Medienbildung soll sich mit medial bedingten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen auseinandersetzen, veränderte Öffentlichkeiten durch neue Medienstrukturen reflektieren, Optionen der Selbstermächtigung eröffnen und dazu beitragen, multimediale Angebote altersgerecht hinterfragen zu können.“ So heißt es 2020 im 16. Kinder- und Jugendbericht mit dem thematischen Fokus „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“ (2020) unter der Überschrift „Politische Bildung ist kritische Medienbildung“ (S. 10).
Aber was macht eine politische Medienbildung aus? Wer ist zuständig? Wer arbeitet mit? Wie müsste sie konzipiert werden? Oder gibt es das längst – weil Medienbildung und Medienkompetenzvermittlung immer auch politisch ist und politische Bildung nicht ohne Medien und mediale Formate auskommt?

Standort-Bestimmungen

Zu diesen und weiteren Fragen trafen sich am 19. und 20. September 2022 in Dresden rund 100 Medienpädagog:innen und Mitarbeiter:innen aus der politischen Bildung zum Austausch über Aspekte und zur Diskussion. Eingeladen hatten die Landeszentralen für politische Bildung Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen, die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK).

In ihrem Eröffnungsvortrag entwarf Prof.in Dr. Monika Oberle, Politikwissenschaftlerin an der Uni Göttingen, zunächst „Politische Medienbildung – Ziele, Ansätze, Perspektiven“. Dabei sah sie Medienkompetenz als Ziel auch politischer Bildung. Jedoch kommt Medienkompetenz und Medienbildung in den Grundlagentexten der Politikdidaktik explizit viel zu wenig vor, so Oberle. Allerdings empfahl sie angesichts verschiedener Politikbegriffe die Verwendung eines engeren Begriffs, der neben „dem Politischen im Sozialen“ und „Politik im weiteren Sinne“ Gegenstand der politischen Medienbildung sein muss. Als Spezifikum benannte sie die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen des Mediensystems, also die Kenntnisse und die Fähigkeit, z. B. auf die Regulierung der Medien Einfluss zu nehmen. Für die Bildungspraxis beschrieb sie die Notwendigkeit der Kooperation der beiden Professionen Medienbildung und Politische Bildung.

Schulische und außerschulische Bildung notwendig

Anschließend beschrieb Prof.in Dr. Sonia Ganguin (Universität Leipzig) anhand eines konkreten Projekts in der Lehramtsausbildung die Chancen und Herausforderungen des Zusammendenkens von Medienbildung und politischer Bildung. Das im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ vom BMBF geförderte Verbundprojekt „PraxisdigitaliS – Praxis digital gestalten in Sachsen“ der Universität Leipzig und der Technischen Universität Dresden verortet die Digitalisierung fest in der Lehramtsausbildung in Sachsen. Dabei fokussiert das Projekt auf den Aufbau einer Reflexions-basierten Handlungskompetenz angehender Lehrkräfte in Bezug auf digitale Medien und digital organisiertes Lernen. Dazu wird ein verbindlicher Katalog zu digitalisierungsbezogenen Kompetenzen von Lehramtsstudierenden sowie digitale Lehr-Lernszenarien entwickelt.

Die weiterführende Podiumsdiskussion, an der neben den beiden Rednerinnen noch Dr.in. Helle Becker (Kultur- und Erziehungswissenschaftlerin, Transfer für Bildung e. V., Essen) sowie Renate Hillen (feministische Medienpädagogin, Frankfurt am Main) teilnahmen, arbeitete unter Moderation von Kristin Narr verschiedene Schnittstellen, aber auch Brüche heraus. So muss festgehalten werden, dass Bildungsformate für Schule in der Regel nicht z.B. in außerschulische Jugendarbeit passen, in der wiederum die Lebenswelt Jugendlicher einen weit größeren Stellenwert einnimmt. Dazu passt die Frage nach möglichen Formaten von und Zuständigkeiten für eine politische Medienbildung. Wiederholt wurde der Beutelsbacher Konsens angesprochen, dessen Überwältigungsverbot bzw. Gebot der Neutralität nicht fehlinterpretiert werden sollte: es geht auch darum, aktiv zu werden!

Fruchtbare Diskussionen

Den zweiten Teil des ersten Tages bildeten vier Workshops zu den Themengebieten Desinformation, Medienkritik, Partizipation und Netzpolitik. In unterschiedlichen Formaten mit Inputs, Diskussionsrunden, Thementischen und World Cafes kamen dabei Vertreter:innen der beiden Disziplinen in einen differenzierten Austausch.

Eine abschließende Zusammenschau der Workshop-Ergebnisse nach zwei Stunden ergab eine Vielzahl an Übereinstimmung oder Nähen der beiden Felder. Dies betraf sowohl Grundlagen und Ziele (Stichwort: Partizipation) als auch inhaltliche Überschneidungen, z. B. Medienkritik oder Netzpolitik – allerdings mit unterschiedlichen Gewichtungen in den Professionen. Mehrfach wurde die Chance des wechselseitigen Lernens der beiden Professionen hinsichtlich Methodik und Didaktik betont. Und in erfreulicher Offenheit wurden auch „blinde Flecken“ bzw. Entwicklungsmöglichkeiten und To-dos benannt. Hinsichtlich Diversität und Zielgruppenorientierung, aber auch mit Blick auf Selbstwirksamkeits-Erfahrungen der Teilnehmenden und evidenzbasiertes Arbeiten ist nach Ansicht der Teilnehmenden auf beiden Seiten noch Luft nach oben. Ebenso sind Fragen der Qualitätsstandards und der Evaluation sowohl für die Medienbildung als auch für die politische Bildung relevant.

Aber auch Spezifika der jeweiligen Bildungsansätze wurden deutlich. So gilt eben in der politischen Bildung zwingend der Beutelsbacher Konsens mit dem Kontroversitätsgebot und Überwältigungsverbot. Bei ersterem wurde kritisch diskutiert, inwiefern Medienpädagogik kontroverse Diskussionen in der pädagogischen Praxis führt. Umgekehrt lautet die Frage an die politische Bildung, wie weit weltanschauliche Neutralität geht und ob Pädagog:innen in der politischen Bildung über die Funktion der Information hinaus nicht auch Sparringspartner der Teilnehmenden sein müssten. Die Medienpädagogik hat wiederum einen Vorteil, da das ästhetische Lernen quasi zu ihrer DNA gehört.

Politische Medienbildung - Diskussion an Thementischen
Diskussion an Thementischen
Foto: Andreas Büsch (CC 4.0 BY-SA)

„Runter vom Podium“

Eine durchaus pointierte und mit persönlichen Erfahrungen gespickte Zusammenfassung des ersten Tages trug Peter Stawowy, Journalist, Blogger, Dozent und Medienberater aus Dresden, bei. Er konstatierte eine Nachrichtenvermeidung (News Avoidance) bei vielen Menschen, was eine Herausforderung für die politische Medienbildung bedeute: Wie kann künftig ein reflektierter Umgang mit bildungsfernen Zielgruppen aussehen. Beiden Disziplinen schrieb er dazu konkrete Anforderungen in das Stammbuch: Die Politische Bildung müsse „runter vom Podium“, denn frontale Bildungsveranstaltungen funktionieren nicht mehr. Die Medienpädagogik wiederum müsse raus aus Projekten und Projektförderung und endlich eine auskömmliche Finanzierung und Wertschätzung erfahren – womit er unmittelbar die Landespolitik (nicht nur) in Sachsen adressierte.

Letzteres betonte auch Jochen Fasco, Direktor der thüringischen Landesmedienanstalt (TLM) in seinem Vortag am zweiten Tag „Fakt oder Fake? – Maßnahmen gegen Desinformation aus dem Blickfeld der Landesmedienanstalten: Medienaufsicht, Jugendmedienschutz und Medienkompetenz“. Medienbildung ist zwar in allen Landesmediengesetzen enthalten; häufig habe er aber den Eindruck eines Themas für Sonntagsreden angesichts fehlender Ressourcen für die Medienpädagogik.

Den zweiten Vortrag hielt Prof.in Dr. Tanja Thomas von der Eberhard Karls Universität Tübingen. Sie berichtete unter dem Titel „Medienbildung und Medienpraxis für eine Gesellschaft der Vielen“ über die Entwicklung alternativer medialer Angebote, Formate und Erzählweisen als Bestandteil einer anderen Gedenkkultur. „Doing Memory an rechte Gewalt nach 1945“ ist ein Gegenentwurf gegen eine rein weiße Gedenkkultur, die häufig mit einer „Schlussstrich-Mentalität“ einhergeht. Dagegen müsse die Frage sein, wie politische Medienbildung für produktive Erinnerungsarbeit Räume öffnen kann.

Ausblicke

Nach einer zweiten Runde mit thematischen Workshops folgte im Anschluss an das Mittagessen eine Poster-, Material- und Best-Practice-Präsentation, bevor Sabine Eder, Vorsitzende der GMK, und Thomas Krüger, Präsident der BpB, im Gespräch mit Peter Stawowy ein Fazit der Tagung zogen. Dabei wurde deutlich, dass die BpB bereits seit über 30 Jahren Medienpädagogik als Teil der politischen Bildung fördert. Dennoch sei es jetzt an der Zeit, neue Synergien zu schaffen, so Krüger. Denn politische Bildung sei ohne mediale Formate undenkbar; Medienpädagogik ohne Berücksichtigung der politischen Implikationen von Plattformen, Algorithmen usw. ebenso. Daher gelte es nun, mit Blick auf die Praxis an den vorhandenen Schnittstellen weiter voranzukommen. Sabine Eder verwies dazu auf bestehende Projekte aus medienpädagogischen Kontexten. Zugleich räumte sie ein, dass dabei hinsichtlich politischer Bildung im engeren Sinne auch noch Raum für Ausbau und Verbesserung böten.

Die thematische Nähe in vielen Feldern war unstrittig und wurde insbesondere in den Workshops auch differenziert diskutiert. Einig waren sich beide Seiten, dass die Frage nach Qualitätskriterien und geeigneten Formen der Evaluation von Bildungsmaßnahmen beide Disziplinen betreffe.

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