Wie politisch sind eigentlich die Gamer? Wie sieht der typische Gamer aus? Wer entwickelt eigentlich Spiele und welche Frauen- und Männerbilder werden in Spielen gezeichnet? Wie werden Gegner im Spiel dargestellt? Welches Bild von Gesellschaft wird gegeben? Wie und warum nutzen auch Extremisten die Spielewelt gerne für sich? Ganz im Zeichen dieser Fragestellungen stand die diesjährige #mepodi-Fachtagung „Wir spielen doch nur – Die Inszenierung von Gesellschaft in Digitalen Spielen“.
Pandemiebedingt fand die zweitägige Veranstaltung nicht im Bonifatiushaus in Fulda statt, sondern reihte sich ein in die Liste der Online-Veranstaltungen. Das tat dem Format aber keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Der Einladung der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, der Clearingstelle Medienkompetenz, des Bonifatiushauses Fulda und der AKSB – Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke in der Bundesrepublik Deutschland folgten rund 150 TeilnehmerInnen. Sie nutzten die Chance, ExpertInnen zu dem Thema zu hören und mit diesen in Austausch zu kommen. Außerdem überlegten sie gemeinsam in Workshops, wie zwischen Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern, Lehrkräften, Medienpädagogen und politischen Jugendbildnern eine wertorientierte und reflektierte Kommunikation zu den aktuellen Spielen stattfinden kann.
Doch nun der Reihe nach: Nach einer Einführung durch Markus Schuck, Bildungsreferent der AKSB, und Professor Andreas Büsch, Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz, eröffnete die Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Spielekultur den ersten Teil der Fortbildung, die sich über zwei halbe Tage erstreckte. Çiğdem Uzunoğlu nahm die digitale Spielewelt in den Blick und beleuchtete Themen, Trends und Technologien. Damit legte sie dar, warum digitale Spiel ein Spiegel der Gesellschaft sind. Dabei sprach sie auch die gemeinsam mit dem BMBF und dem Bündnis für Bildung „Kultur macht stark“ gestartet Plattform Stärker mit Games an, die mit zahlreichen lokalen Bündnispartnern digitale Spielekultur in Maßnahmen mit sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen zum Tragen bringen will.
Computerspiele? Gesellschaftspolitisch relevant!
Der zweite inhaltliche Input kam von Prof. Dr. Caja Thimm von der Uni Bonn. Die Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität stellte darin Thesen über Games und Gamer-Communitys auf. Dadurch ging sie der Frage nach „Wie politisch und partizipativ sind die?“ Sie legte dar, warum Computerspiele Teil der digitalen Massenkultur und der Kreativwirtschaft sind. Weiterhin warf sie einen Blick auf das Image, das viele von der Gamer-Szene haben. Doch auch wenn dieses Bild des einsame männlichen Zockers nach wie vor in den Köpfen vieler Menschen vorherrscht, ist es längst nicht mehr repräsentativ für eine zunehmend inhomogene Gaming-Szene. Im Gegenteil: Viele Spiele sind auf Gemeinschaft und Austausch konzipiert. Vergemeinschaftungselemente finden sich dabei sowohl vor als auch während dem Spielen.
Weiterhin zeigte Prof.in Thimm die gesellschaftspolitische Relevanz von Computerspielen auf und vertrat die Meinung, dass Spiele heute politischer geworden sind. Als Beispiele nannte sie ein vom amerikanischen Militär entwickeltes Rekrutierungs-Game, den Ego-Shooter America’s Army. Politisch relevant ist auch Far Cry 5, bei dem man gegen rechte Milizen und religiöse Kulten in den USA kämpft; in Papers, Please erleben die SpielerInnen den Alltag eines Grenzkontrolleurs. Gleichzeitig sind auch rassistische und rechtsextreme Spiele und Spiele-Clans Realität – auch wenn deren Mitglieder in der Gamer-Szene oft verpönt sind und bei Zusammenkünften „gekickt“ werden.
Computerspiele als soziale Netzwerke
Insgesamt können Computerspiele auch als soziale Netzwerke verstanden und konzipiert werden, zeigte sich Caja Thimm überzeugt. „Man trifft sich im Spiel“, nicht nur bei Fortnite. Darüber hinaus finden Umgangsformen aus digitalen Spielen Eingang ins echte Leben. Dies wird zum Beispiel an den Tänzen aus fortnite deutlich, die von Fußball-Profis beim Torjubel ausgeführt werden. Das zeigt: Es lohnt sich, Spiele neu anzuschauen und sie auch auf für die politische Bildung relevante Begegnungsmöglichkeiten hin zu überprüfen.
Rollenbilder in digitalen Spielen
Nach einer (leider nur digitalen) Kaffeepause sprach Linda Kruse, Gründerin und Geschäftsführerin von The Good Evil GmbH, über Rollenklischees in Computerspielen. Mit ihrer Firma entwickelt sie u.a. (Lern-)Spiele, „um die Welt besser zu machen“. Zu einem dieser Spiele gehört Serena Supergreen and the broken blade. Dieses will Frauen und Mädchen zwischen elf und 16 Jahren auf naturwissenschaftlichen Berufe aufmerksam machen, indem es ihnen den Bereich der erneuerbaren Energien näherbringt. Anhand vieler Beispiele zeigte sie Rollenklischees in Computerspielen auf. Dabei schlug sie den Bogen von Spielen wie Tomb Raider mit einer wenig bekleideten und schlecht ausgestatteten weiblichen Hauptfigur bis hin zu The Last of Us II.
Wenn Frauen als „dekorative Objekte“ in Games genutzt werden, stehen diese Titelheldinnen eher als Platzhalter da; sie sind nicht wirklich handlungsfähig. Eine Alternative wäre, wenn weibliche Rollen handlungskompetent und wichtig für den Spielverlauf sind. Diese kompetenten weiblichen Hauptrollen können v.a. für junge Spielerinnen eine Vorbildfunktion haben. Allerdings sei es schwierig, über Klischees zu sprechen, ohne sich auch die Gesellschaft anzuschauen, befand sie. Ihre Hoffnung: „Dass wir bald nicht mehr über Klischees, sondern über Spiele reden.“
Spiele dekonstruieren und neu zusammensetzen
Über die Dekonstruktion von Digitalen Spielen ging es im vierten Input. Andreas Hedrich von der Initiative Creative Gaming stellte anhand von Beispielen dar, wie sich mit Spielen spielen lässt, indem Regeln ignoriert und Grenzen ausgetestet werden. Dann kommt es zu kreativen Ergebnissen wie den Balletttänzern im Ballerspiel. Die wichtigste Spielregel bei Creative Gaming lautet, Spielregeln zu ignorieren und Spiele als Spielzeug zu nutzen. Auf diesem Weg lassen sich Spielelemente neu zusammenzusetzen, Digitales wird analog bzw. eine Verbindung digitaler Elemente mit der analogen Umgebung hergestellt. Darüber hinaus lassen sich Spiele als Werkzeug bzw. die Ästhetik von Spielen für Tools wie die Videochatplattform GatherTown nutzen.
So kann es gelingen, Spiele neu zu denken. Diese Schnittstelle zwischen Medienpädagogik und Medienkunst bietet dabei viele Möglichkeiten Medienkompetenz zu fördern. Eben das ist auch ein Weg, Partizipation zu ermöglichen sowie Reflexionsfähigkeit und Mündigkeit zu stärkten. Die Folien zum Vortrag von Andreas Hedrich gibt es hier als PDF zum Download.
Im Anschluss an die Inputs fanden in eigenen Breakout-Rooms Gespräche mit den Expert*innen statt. Die wesentlichen Gesichtspunkte haben die ExpertInnen gemeinsam mit den Teilnehmenden in einem Etherpad zur Dokumentation der Tagung festgehalten.
Workshops an Tag 2
Am zweiten Tag teilten sich die Teilnehmenden in drei parallel Workshops auf, um einzelne Aspekte des Tagungsthemas interaktiv zu vertiefen. Dabei ging es auch darum aufzuzeigen, wie das Thema praktisch in Präventionsmaßnahmen der politischen Bildung und der Medienbildung einfließen kann.
Workshop 1: Generationsübergreifendes Arbeiten zu und mit Digitalen Spielen
Sabine Eder, Vorsitzende der GMK und Geschäftsführerin des Vereins Blickwechsel, moderierte gemeinsam mit Daniel Heinz, Fachbereichsleitung Gaming beim Spieleratgeber NRW einen Workshop zum generationsübergreifenden Arbeiten zu und mit digitalen Spielen. Dabei reflektieren die Teilnehmenden in Kleingruppen über ihre eigenen Erinnerungen an (Computer-)Spiele ihrer Kindheit und Jugend und bezogen das auf die Wahrnehmung der Spielewelten von Kindern und Jugendlichen heute. An diesen spannenden sowie fachliche Inputs von Sabine Eder und Daniel Heinz schloss sich ein Austausch über empfehlenswerte Spiele für mehrere Generationen an. Der Workshop ist in einem Padlet dokumentiert, das weiterhin online steht.
Workshop 2: Digitale Spiele in der religionssensiblen politischen Bildung mit Schüler*innen am Beispiel des Projekts „Respekt Coaches“
Im Mittelpunkt des Workshop 2 standen das Projekt „Religionssensible politische Bildung“ sowie die zwei Spiele „My Memory of Us“ und „Path Out“. Ann-Kristin Beinlich stellte zu Beginn kurz als Projektleiterin das bundesweite Projekt vor, mit dem Jugendliche durch politische Bildung gegen religiös motivierten Extremismus gestärkt werden sollen. Einen guten Einstieg in diese politische Bildungsarbeit können dabei digitale Spiele ermöglichen.
Einen Einblick in die Chancen und Herausforderungen von Videospielen beim Einsatz in der Bildungsarbeit gab anschließen Medienpädagoge Jonas Kühn (Akademie Klausenhof). In welcher methodischen Form dies mit den Spielen „My Memory of Us“ und „Path Out“ gelingen kann, erarbeiteten die Teilnehmenden im weiteren Verlauf des Workshops gemeinsam mit Jonas Kühn und Daniel Riedl – ebenfalls Medienpädagoge der Akademie Klausenhof – in zwei Breakoutrooms. Dabei stellten sie zunächst die Spiele vor und entwickelten anschließend unter den Moderationen von Ann-Kristin Beinlich und Markus Schuck beispielhaft einen Ablaufplan für einen schulischen Projekttag zu den jeweiligen Spielen. Die Ergebnisse und die aufgeworfenen Fragestellungen sind in zwei Padlets festgehalten [edit 17.11.2021: Link entfernt, da nicht mehr verfügbar].
Workshop 3: Fortnite, Fifa & Co.: Digitale Spiele in der Lebenswelt Jugendlicher
Der Medienpädagoge und hauptamtliche Mitarbeiter des Infocafe Neu-Isenburg Stephan Schölzel war Experte im Workshop 3, moderiert von Sarah Gumz (LPR Hessen) und von Medienpädagogin Theresia Hansen. In dem Workshop gab Stephan Schölzel einen Über- und Einblick in die hoch diverse Welt der digitalen Spiele, ihre Einordnung sowie Verbreitung (PDF der Vortragsfolien zum Download). Auch die Rolle digitaler Spiele in der Lebenswelt junger Menschen und welche Bedeutung sie für diese Zielgruppe haben wurden erörtert. Eine wichtige Erkenntnis dabei war, dass es sich lohnt einen groben Überblick zu haben was in der digitalen Spielewelt passiert. Dagegen ist es nicht notwendig ein Experte zu sein, um digitale Spiele nutzen zu können.
Im Anschluss daran wurde eine vielseitige Methode vorgestellt und wie man diese nutzen kann, um kritische die Darstellungsformen in digitalen Spielen zu hinterfragen. Zum Abschluss hin wurde am Praxisbeispiel vorgestellt wie man mit solchen Arbeitsergebnissen dann pädagogisch weiterarbeiten kann und Transferleistungen hergestellt werden können. (Das Jamboard ist ebenfalls noch online einsehbar.)
Das Schlusswort, aus der 15-Jahre JIM Studie, war: „Eine pauschale Bewertung von digitalen Spielen ist aufgrund der Vielfalt an Technik und Inhalten nicht angemessen.“
Links aus dem Workshop
Im Workshop wurden zahlreiche Materialien angesprochen; die Links sind hier nachfolgend zusammengestellt:
- Aktuelle JIM-Studien 2020
- Jahresreport der deutschen Games-Branche (GAME Verband)
- USK-Jahresstatistik
- Datenbank der USK um Altersfreigaben zu prüfen
- Diverse Publikationen der Stiftung Digitale Spielekultur
Auf der Platform Digitale Spielewelten gibt es diverse Projekte und Methoden zum Thema, u.A. auch die bereits vorgestellten:
- Charakter-Sammelkarten: Stereotype in digitalen Spielewelten
- Gender & Games I – Sexualisierte Helden?
- Gender & Games II – Genderbend/Genderswap
Zum Thema „Gamergate“: https://keinenpixeldenfaschisten.de/2020/11/16/gamergate-eine-retrospektive-download/
Darüber hinaus interessante Texte: https://keinenpixeldenfaschisten.de/artikelsammlung/
Für alle Lehrer:innen ist am 22.01.2021 ein spannendes Video erschienen, wie das Thema (Serious) Gaming im Unterricht sinnvoll aufgegriffen werden kann: 10 Ideen für Spiele im Unterricht
Aktuell zu empfehlende Games die man gemeinsam mit Jugendlichen online spielen kann
- skribbl.io
- Among us
- Sammlung von 24 Indiegames, von denen die Mehrheit kostenlos zu nutzen ist
- https://digitale-spielewelten.de/
- https://garticphone.com/
- https://www.jackboxgames.com/
- Minecraft bzw. die Open-Source-Version minetest.net
Schule fit machen für Medienbildung und Games im Unterricht
Am Ende der Online-Fachtagung stand das Fazit der beiden Moderatoren, Markus Schuck und Prof. Büsch. Die einzelnen wissenschaftlichen Beiträge und Diskurse der Teilnehmenden haben die Bedeutung von Games für die Kommunikation der Zielgruppe Jugendlicher in unserer Gesellschaft verdeutlicht. Dies gilt gerade in Zeiten von Corona. Denn zum einen sind sie ein wichtiges Kommunikationsmittel der Jugendlichen in der Pandemie. Sie haben sich neben Facebook, Instagramm und TicToc zu einem wichtigen sozialen Netzwerk entwickelt. Zum anderen sind die Spiele zunehmend politischer geworden.
Zum Thema Games fand Ende 2020 in der Reihe #mepodi auch das Online-Seminar „Computerspiele unterm Weihnachtsbaum“ statt. Die Berichterstattung zum Thema „Kein Brokkoli mit Schokolade“ findet sich ebenfalls auf dieser Website.
Edit 08.02.2021: Nachträge bei Materialien der ReferentInnen sowie Workshop-Berichte und -Links
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