Zwischen Individuum und Gesellschaft: #genderundmedien am 10.12.2020
Bereits zum vierten Mal hatten die Medienkompetenzförderung des SWR, die Clearingstelle Medienkompetenz und die Katholische Hochschule Mainz – Schwerpunkt Medienpädagogik – in Kooperation zu einer Fortbildung eingeladen. Nach Scripted Reality, Jugendmedienschutz und Werten war diesmal Gender und Medien das Thema. Allerdings fand der Fortbildungstag aufgrund der Covid 19-Pandemie online statt, was der Veranstaltung nach Überzeugung aller Beteiligten aber keinerlei Abbruch tat – im Gegenteil. Denn doing gender ist für die mehr als 80 Teilnehmer*innen ein wichtiges und nachgefragtes Thema.
Mann oder Frau? Mit dieser Frage und acht Portraits aus 100 Jahren stieg Prof.in Dr. Kira Nierobisch, Professorin für Methoden der Sozialen Arbeit an der Katholischen Hochschule Mainz, in ihren Vortrag ein. Dabei ist diese binäre Orientierung nur ein historisches Konstrukt. Darin gab sie einen Überblick über die Gender-Debatte und deren Ursprünge in der Frauenbewegung. Wobei „die“ Frauenbewegung sachlich falsch ist, insofern eine erste Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, eine zweite in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts sowie eine dritte ab den 1990er-Jahren unterschieden werden müssen. Letztere entstand auch als Reaktion auf antifeministische Tendenzen und führte aus der Differenzierung von Sexualität (sex) und sozialem Geschlecht (gender) zur Diversitäts- und Queer-Debatte. Der Begriff Gender verknüpft so die subjektive Dimension mit einer gesellschaftlichen Perspektive.
Denn „Geschlecht ist nicht etwas, was wir haben, sondern etwas, das wir tun.“ Dieses Zitat von Carol Hagemann-White (1993) fasst den zentralen Gedanken des Doing Gender zusammen: Wir inszenieren uns in unseren Interaktionen. Und insofern dies nicht zuletzt dank Social Media häufig mediale Interaktionen sind, spielen Medien dabei eine zentrale Rolle – an der auch die Zuschauer*innen einen wesentlichen Anteil haben.
Doing Gender und Body Positivity
Damit war der Rahmen gespannt für den zweiten Impulsvortrag „Body positivity“ von Dr. Anna Grebe, Medienwissenschaftlerin aus Berlin. Denn gerade angesichts der zahlreichen Selbstinszenierungen junger Menschen auf Social-Media-Kanälen wie Instagram oder TikTok wird der Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen Individuum, Körper und Gesellschaft unausweichlich. Unbestreitbar sind männlich und weiblich gelesene Körper unterschiedlichen Normierungen unterworfen. Und das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper kollidiert mit der Frage, was eigentlich „normal“ sein soll – was nochmals einen deutlichen Unterschied zu „natürlich“ ausmacht. Letztlich geht es um den Unterschied zwischen einer positiven Haltung zum eigenen Körper einerseits und gesellschaftlichen, meist von Männern definierten Schönheitsidealen andererseits.
„Man muss es sich leisten können, nicht auf sein Körperbild achten zu müssen“, fasste Dr. Grebe zusammen und warnte zugleich vor dem Druck, der vom pädagogischen Ideal der „Selbstliebe“ ausgehe. Den eigenen Körper anzunehmen sei der richtige Weg – oder, wie es eine Teilnehmerin formulierte: „Mit sich selbst gut befreundet sein, statt Selbstliebe – das wäre es doch!“
Von der Theorie zur Praxis: fünf Workshops
Am Nachmittag hatten die Teilnehmer*innen dann die Wahl zwischen fünf praxisorientierten Workshops. Darin wurden einzelne Aspekte des Themas Doing Gender und Medien vertieft. Geleitet wurden diese Workshops von Studentinnen der medienpädagogischen Zusatzqualifikation im BA-Studiengang Soziale Arbeit an der KH Mainz.
Workshop 1 beschäftigte sich unter dem Titel „Von Krieger*innen bis Barbies?!?“ mit Körperbemalung als Selbstdarstellung in digitalen Medien. Um die Frage, was eigentlich hinter den Mini-Vidoclips steckt, ging es in Workshop 2: „Hast du TikTok?“ – „Es ist halb zehn!“. In Workshop 3 kamen außerdem Rollenklischees wie „Männer weinen nicht und Kindererziehung ist Frauensache“ auf den Prüfstand. Workshop 4 vertiefte unter dem Titel „Das Schönheitsideal in der Gesellschaft“ das Thema Body Positivity und wie dieses den Blickwinkel verändern will. „Catcalling ist kein Kompliment!“, hieß es schließlich in Workshop 5 „Digitaler Sexismus und was Sie dagegen tun können“.
Ein wiederholt angesprochener Aspekt war dabei die Vorbildfunktion, die Erwachsene mit Blick auf Rollenbilder haben. Vor allem Pädagog*innen haben die wertvolle Chance und Aufgabe, junge Menschen in der sensiblen Phase ihrer Identitätsbildung und Rollenfindung zu stärken und zu unterstützen. Frei nach dem Motto: Aus großer Kraft wächst große Verantwortung! Insofern sind gesamtgesellschaftliche Diskussionen wünschenswert, um die Thematik weiter ins Gespräch zu bringen.
Auch wenn in Social Media mehr Selbstinszenierung als wirkliche Selbstdarstellung stattfindet, ist digitaler Sexismus dort leider weit verbreitet. „Auch Jungen und Männer dürfen bei der Debatte rund um Sexismus und Co. nicht vergessen werden!“, so die Teilnehmer*innen eines Workshops. Denn auch Jungen und Männer stehen unter Druck, wie die Debatte um toxische Männlichkeit zeigt. Für manche sind dann Tattoos oder Körperbemalung auch eine Art Rüstung sein; eine Schutzschicht, mit der man sich sicherer fühlt.
Eine Dokumentation der Workshops und weiterführender Materialien findet sich auf einer eigenen Seite.
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