Any way the wind blows

Any way the wind blows - Textzeilen von Queen, Bohemian Rhapsody auf Plakatwänden
Is this the real life?
(Fotos / Montage: Andreas Büsch)

Zum ersten Mal seit 2019 fand die re:publica, die Konferenz zur digitalen Gesellschaft, wieder live in Berlin statt. Die Arena Berlin und der benachbarte Festsaal Kreuzberg mit mehr Außenflächen und -bühnen waren die neue Location, um eine möglichst stressfreie Durchführung zu ermöglichen, weil „Corona noch nicht vorbei ist“, so Mitgründer Johnny Haeusler. Das diesjährige Motto „Any way the wind blows“ ist die letzte Textzeile des in der Closing Ceremony traditionell gemeinsam zum Playback gesungenen Queen-Klassikers Bohemian Rhapsody. Damit knüpfte die #rp22 einerseits an den „rituellen Segen und „the famous last words“ der letzten re:publica vor der Pandemie“ an, wie Olaf Scholz, erster Bundeskanzler auf einer re:publica, in seiner Rede bemerkte.
Andererseits sollte es verdeutlichen, wie vielfältig die netzpolitischen und gesellschaftlichen Themen sind. Die vielfachen gegenwärtigen Krisen – Corona, Ukraine, Klima, um nur die wichtigsten zu nennen – waren im Programm deutlich präsent. Im Übrigen wirkte das Programm, getreu dem Motto, wie ein bunter Mix, der neben mehrfach wiederkehrenden Themen wie KI und Desinformation, Fake News sowie Verschwörungserzählungen auch viel Bekanntes und Bekannte bot. Das aber ist, wie Mitgründerin Tanja Haeusler bei der Eröffnung betonte, offensichtlich notwendig, da bestimmte Themen immer wieder benannt und auf die Tagesordnung gebracht werden müssten.

Gruselige Infrastruktur, Freiheit und Regulierungsbedarf

Denn auch die „die gruselige deutsche digitale Infrastruktur“, die Sascha Lobo anhand einer OECD-Statistik zum Glasfaserausbau anprangerte, ist nach wie vor Realität. Stand Deutschland 2018 noch auf dem gleichen Level wie Angola, liegt es aktuell auf dem fünf letzten Platz. Und so war die Frage von Markus Beckedahl, re:publica-Mitgründer und langjähriger Chefredakteur von netzpolitik.org, an Digitalminister Volker Wissing naheliegend, worin sich denn die Versprechungen der aktuellen Regierung zur Gigabit-Strategie von den Ankündigungen früherer Regierungen unterschieden. Man sei „so ein bisschen dauerenttäuscht“ (Beckedahl) und wirklich plausibel wirke es ja nicht, wenn binnen drei Jahren die Zahl der Glasfaseranschlüsse von derzeit knapp 7 % verdreifacht und dann bis 2030 die restlichen 80 % der Haushalte angeschlossen werden sollten.

Wissing, der sich als „Taktgeber und Teamleader“ in dem Prozess sieht, will sich bis 2025 an den Ergebnissen messen lassen. Gleichzeitig versprach er, sich einer anlasslosen Überwachung auch verschlüsselter Chats, wie sie die EU als Instrument im Kampf gegen Kindesmissbrauch vorschlägt, entschieden zu widersetzen.

Überhaupt: die EU und die Medienregulierung waren in zahlreichen Podien und Talks Thema. Zweifelsfrei ist es gut, die großen Digitalkonzerne einzuhegen, die bisher „Regulierungsferien“ hatten. Aber dass mit dem Digital Services Act (DSA) nun das „Plattformgrundgesetz“ komme, darf bezweifelt werden. Immerhin gibt es Lerneffekte aus der Umsetzung der DSGVO vor vier Jahren: Große Plattformen mit mehr als 50 Millionen Nutzer:innen werden von der EU-Kommission selbst reguliert. Denn die Grundlage bei der DSGVO war gut, aber die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich. Für alle kleineren Plattformen muss noch geklärt werden, wer künftig national die Regulierung umsetzt – entsprechend besetzte Podien mit Vertretern von Bundesnetzagentur und Landesmedienanstalten muteten fast wie ein Bewerbungs-Schaulaufen an.

rp22 Any way the wind blows
Die Gründer:innen der re:publica (v.l.n.r.): Johnny und Tanja Haeusler, Markus Beckedahl und Andreas Gebert
(Foto: Jan Zapper / re:publica – CC BY-SA 2.0)

Luxusprobleme?

Selbstverständlich ist aber auch die Frage der Ausstattung bzw. Anbindung in netzpolitischer Perspektive nur ein Aspekt unter vielen. Denn wie bei anderen Themen auch verbirgt sich darin eine Menge sozialer Sprengstoff. Wer profitiert von technischen Entwicklungen und wem bleiben sie verschlossen, weil Menschen sich diese nicht leisten können?

Wie steht es zum Beispiel um die sozialethischen Implikationen von Körperimplantaten? Die Computer, die wir anfangs wie einen Raum betraten, wurden mit der Zeit immer kleiner und tragbar bis hin zu Wearables. Der nächste Schritt ist nun sogenannte Wetware, also Schnittstellen zum Gehirn, die zum einen Hirnströme auslesen, zum anderen aber auch von außen durch Computer angesteuert werden können. Medizinisch indiziert kann dies für die Betroffenen z.B. von Parkinson oder nach Amputationen einen wunderbaren Zugewinn an Lebensqualität bedeuten. Die Möglichkeiten der Selbstoptimierung ebenso wie des Missbrauchs solcher Technologie machen die Notwendigkeit einer intensiven und frühzeitigen Diskussion deutlich. Und dies wäre auch eine wichtige Schnittstelle zu den Kirchen, die in vielen Diskussionen durchaus noch als Werte-Akteure genannt werden.

Der digitale Katholiken- bzw. Kirchentag?

Auch die re:publica ist ein Treffpunkt für Kolleg:innen, Freund:innen und Bekannte aus verschiedenen Szenen. Von Techies und Nerds über Digitalpoliker:innen und Akteur:innen der Zivilgesellschaft bis hin zu Medien- und Religionspädagog:innen. Und auch die „Churchies“-Bubble der kirchlich Engagierten hat hier neben z.B. der Tagung Kirche im Web ihren Treffpunkt: Aktive beider großen Konfessionen sind etliche da. Bei einem informellen Treffen am Rande der #rp22 kamen über 40 Personen zusammen; etliche weitere ließen sich am Ende eines langen ersten Tages entschuldigen. Mit dem Wiedersehensfaktor erinnert die re:publica insofern an kirchliche Großveranstaltungen wie Katholiken- oder (ökumenische) Kirchentage.

Im Unterschied zu letzteren sind aber Verantwortliche aus Kirchenleitungen auch im 15. Jahr der re:publica nicht vertreten. Dies wirft schon die Frage auf, welchen Beitrag Kirche in einer Kultur der Digitalität liefern kann. Eine einzige Einreichung offensichtlich christlicher Provenienz hat es ins Programm geschafft. Eine evangelische Pastorin stellte angesichts des Ukrainekrieges ihre biblischen Friedensbilder vor. Ansonsten war der Krieg durchaus präsent, aber vor allem als Cyber- bzw. Informationskrieg.

Anyway the wind blows - Farvel alias LIlli Berger führte in die Session „Asche zu Staub“ ein
Farvel alias Lilli Berger führte in die Session „Asche zu Staub. Wandel der Bestattungs- und Erinnerungskultur“ ein
(Foto: Andreas Büsch)

Religion ist aber auch 2022 für viele Menschen prägend, unabhängig davon, ob jemand religiös ist. Und die existenziellen Fragen treiben alle Menschen um: In welcher Zukunft wollen wir leben? Wie kann eine gerechtere Gesellschaft aussehen, die soziale Spaltungen überwindet? So gab es alleine drei unterschiedliche Sessions zum Thema Tod und Sterben. Und in zahlreichen Gesprächen war zu hören, dass Kirche als Trägerin von Werten sich in Diskurse zu KI und Digitalität einbringen solle. Dass es dazu durchaus lesenswerte Stellungnahmen gibt, wie z.B. das Thesenpapier der Publizistischen Kommission, bedarf allerdings auch erstmal der Erwähnung.

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