Auch die digitale Demokratie braucht Demokraten!

Trugen mit ihren Statements zum Fachtag bei: Marlene Schöneberger (Die Grünen), Maximilian Funke-Kaiser (FDP), Petra Pau (Die Linke), Saskia Esken (SPD)
Erörterten in ihren Statements Chance und Bedarfe digitaler politischer Bildung: Marlene Schöneberger (Die Grünen), Maximilian Funke-Kaiser (FDP), Petra Pau (Die Linke), Saskia Esken (SPD)
Foto: Andi Weiland, AKSB

Fachtag „Mit digitalen Kompetenzen die Demokratie stärken“ in Berlin

Mit einem Fachtag in der Hessischen Landesvertretung zum Thema „Mit digitalen Kompetenzen die Demokratie stärken! Chancen und Grenzen digitaler politischer Bildung“ am 30.03.2023 setzten die Träger der Reihe „mepodi – Medienbildung politisch und digital“ ihre langjährige Kooperation fort. AKSB-Vorsitzender Gunter Geiger und Kathrin Kuhnert von der Medienanstalt Hessen konnten rund 50 Expert:innen aus Politik, Wissenschaft, Bildungspraxis und Wirtschaft begrüßen. Darunter die Bundestagsabgeordneten Marlene Schönberger (Bündnis 90/Die Grünen), Saskia Esken (SPD), Maximilian Funke-Kaiser (FDP) und Petra Pau (Die Linke).

Aus Sicht von Gunter Geiger befördert der Austausch mit Gleichgesinnten im Netz zwar Identifikation und Selbstbestätigung, begünstige aber auch Ausgrenzung, Diffamierung und Herabwürdigung anderer. Die politische Bildung sei in diesem Kontext besonders gefordert, präventive Maßnahmen und Gegenstrategien zu entwickeln. Kathrin Kuhnert sieht diese Herausforderungen für pädagogische Fachkräfte aus dem sozialen Sektor, die gezielte Unterstützung in Sachen „pädagogischer Medienarbeit“ benötigten. Eine ständige Qualifizierung dieser Fachkräfte auf dem Gebiet der politischen Bildung, der Medienbildung und Pädagogik sei von essenzieller Bedeutung.

Der anschließende Diskurs der Teilnehmenden widmete sich Chancen und Grenzen digitaler politischer Bildung, aber auch akuten Gefährdungen der Demokratie durch antidemokratische und antisemitische Verschwörungserzählungen. Aus Sicht der Vorsitzenden der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) sind die Fake News mittlerweile so gut aufbereitet, dass sie nicht mehr ohne forensische Kenntnisse erkennbar seien. Die Beeinflussung von Wahlen und die Beförderung von Antisemitismus seien konkrete Gefährdungen, dies hieraus ergeben. Schockierend sei dabei aber die Reaktion von Jugendlichen, denen diese Fake News oftmals egal seien.

Weitere negative Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben ergeben sich durch Hate Speech und Verschwörungserzählungen, aber auch Cybermobbing gefährde die demokratischen Strukuren in der Gesellschaft. Hinzu komme die soziale Ungleichheit bei der digitalen Ausstattung und den Zugängen zu digitalen Angeboten. Diese Aspekte gefährdeten den sozialen Frieden und beeinflussten den Arbeitsmarkt.

Vermittlung digitaler Medienkompetenz ist eine Querschnittsaufgabe

Aus Sicht der Politik muss Medienbildung als eine schulfachübergreifende Querschnittsaufgabe in den Lehr- und Bildungsprogrammen der Bundesländer verankert werden. Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger von Bündnis 90/Die Grünen wünscht sich konkrete Fortbildungsprogramme für Lehrer:innen. „Politische Bildung und Medienkompetenz müssen fester Bestandteil der Lehrpläne an Schulen und Universitäten werden. Wir brauchen gezielte Fortbildungsprogramme für Lehrerinnen und Lehrer, um sicherzustellen, dass sie über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, ihre Schülerinnen und Schüler angemessen auf die Herausforderungen der digitalen Welt vorzubereiten.“ Dies könne aber nur gelingen, wenn die Politik ausreichende Mittel für die politische Bildung bereitstelle.

Petra Pau, Bundestagsabgeordnete „Die Linke“, fordert ein Medienkompetenztraining in der Ausbildung von Erzieher:innen und Lehrkräften sowie verpflichtende Fortbildungsangebote nach dem Einstieg in den Beruf. „Dafür muss jedoch auch die Zeit geschaffen werden, damit sich weitergebildet werden kann!“, hebt Pau in ihrem Beitrag hervor. Die Vermittlung von Medienkompetenz müsse sich zudem an der Lebensrealität und Aktivitäten von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen orientieren. Verstärkt benötige es die Förderung von interaktiven und partizipativen digitalen Bildungsformaten, an der sich die Zielgruppen selbst beteiligen und dabei miteinander interagieren können.

Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Maximilian Funke-Kaiser, glaubt an den gesellschaftlichen Fortschritt durch Technologieentwicklung: „Digitalisierung ermöglicht eine größere Teilhabe von Menschen am gesellschaftlichen Geschehen und an der Demokratie.“ Den damit verbundenen Gefahren für die Demokratie, die sich durch Desinformationen, Hassrede und Cybermobbing im Netz ergeben, müsse nicht nur mit einer Steigerung der Medienkompetenz begegnet werden, sondern auch die „Möglichkeit des Meldens“ geschult werden. Bürger:innen und insbesondere junge Menschen sollten dazu ihre Rechte im Internet kennenn. „Es ist wichtig, die Meldeverfahren bekannter zu machen und die Strafverfolgung von Straftaten im Internet zu verbessern, um Vertrauen in die Polizei und effektive Bekämpfung von Desinformation, Hassrede und Cybermobbing zu fördern.“

Das Digitale als Chance für die Demokratie

Trotz aller Gefährdungsszenarien dürfe aus Sicht der SPD-Bundestagsabgeordneten Saskia Esken das Digitale nicht nur dystopisch gesehen werden. Es sei auch eine Chance für die Demokratie. Aber, so Esken, „auch eine digitale Demokratie braucht Demokraten!“ Mit dieser Forderung eröffnete die SPD-Bundestagsabgeordnete Saskia Esken ihren Beitrag. Überzeugte Demokrat:innen bräuchten aber die Erfahrung, dass das Recht sie schützt, wenn sie sich frei im Rahmen des Grundgesetzes einer Demokratie äußerten. Bei der Umsetzung von digitalen Maßnahmen müsse Deutschland schneller werden, sonst werde es den internationalen Anschluss verpassen.

Hoffnungen setzen alle Parlamentarier:innen auf das kommende Demokratiefördergesetz, von dem sie sich eine stetigere Förderung von politischen Bildungsprogrammen im Bereich der Medienkompetenzförderung erwarten. Solche Bildungsprogramme konnte das Projekt „Demokratie leben!“ bereits etablieren.

Prof. Dr. Roman Poseck, Hessischer Justizminister, zeigte in seinem Beitrag Möglichkeiten und Grenzen des Strafrechts in der Bekämpfung von Hass, Hetze und Fake News im Internet auf. Es ergebe sich bei der Beurteilung, wie weit die Meinungsfreiheit reiche, ein schwieriges Spannungsfeld zu den Rechten anderer Menschen, die verletzt werden und ebenso schützenswert seien. Hinzu komme, dass viele Täter im Netz unentdeckt bleiben. In der strafrechtlichen Debatte seien zurzeit die Aufhebung der Anonymität durch „Klarnamen“, die Einführung einer Strafvorschrift für Fake News sowie die Erweiterung des §130 StGB, der eine Leugnung von Kriegsverbrechen unter Strafe stellen soll. Die Klärung der Tatbestände im Einzelfall könne sich jedoch in der Praxis schwierig gestalten.

Bildung heute für künftige Entwicklungen vermitteln

Aus der Perspektive der Wissenschaft sieht Prof. Sven Kommer von der Initiative „Keine Bildung ohne Medien!“ die Notwendigkeit, bereits heute für die Medien auszubilden, die es in 30 oder 40 Jahren geben wird. Auf allen Ebenen – in der schulischen wie außerschulischen Bildung – bedürfe es einer Kooperation der politischen Bildung mit der Medienpädagogik sowie mit Vertreter:innen der digitalen bildung und der Informatik-Didaktik. „Es braucht dann aber auch etablierte Strukturen jenseits kurzzeitiger Projektförderungen, die eine adäquate und nachhaltige politische Bildung und Medienbildung ermöglichen,“ betont Prof. Kommer. Dazu gehöre dann aber auch eine ausreichende Anzahl hervorragend ausgebildeter pädagogischer Professionals nicht nur im Lehramt.

Einen Mangel an Fachkräften konstatiert Sabine Eder. „Hier fehlt es an allen Ecken und Enden!“ Dem stehe jedoch entgegen, dass Kinder nicht nur ein Recht auf Mediennutzung, sondern auch auf Medienerziehung hätten. Gerade benachteiligte Kinder und Jugendliche benötigten eine strukturelle persönliche Förderung, die nur Fachkräften bieten können.

Für Markus Lahrmann, Chefredakteur „Caritas in NRW“, ist es wichtig, dass die Bildungsangebote im Bereich Medienkompetenz und politischer Bildung sich nicht nur an das Bildungsbürgertum und die Mittelschicht wenden. Angebote seien notwendig, die sich an alle Alterszielgruppen und Milieus richten und den gesamten Lebenslauf miteinbeziehen. Politische Bildung zur Demokratieförderung müsse in der Lebenswirklichkeit der Zielgruppen ansetzen und dazu auch z.B. Kommunikationsmethoden schulen und Kommunikations-Werkzeuge nutzen, die in der Lebenswelt der Menschen von Multiplikator:innen eingesetzt werden können.

Medien- und Demokratiekompetenz gehören zusammen

Cornelia Schneider-Pungs von Microsoft Deutschland GmbH forderte eine Behebung der disparaten Verhältnisse in der Ausstattung: „Um Medien- und politische Bildung zu realisieren, sollten wir innovatives und inklusives Lernen für alle ermöglichen. Zugänglichkeit für alle bedeutet dabei vor allem vergleichbare Infrastruktur, aber auch Multimodalität.“ Die Vermittlung grundlegender IT-Kenntnisse müsse sich daher an alle Teile der Gesellschaft richten, um mögliche Risiken für die Demokratie und den sozialen Frieden abzuwenden. „Dazu ist ein neues Verständnis von Qualifizierung und beruflicher Weiterentwicklung in Bildungsinstitutionen nötig.“
Die Entwicklung der modernen KI-Technologien verfolgt Schneider-Pungs ebenfalls mit besorgtem Interesse: „Moderne KI-Technologien müssen allgemein zugänglich und verständlich gemacht werden. Dies wir künftig eine dauerhafte Herausforderung sein und das Bildungswesen stark verändern.“

Aus Sicht von Melanie Kubin-Hardewig von der Deutschen Telekom AG reiche Medienkompetenz allein nicht aus, um die digitale Welt zu einem sicheren Ort für einen respektvollen Umgang zu machen: „Für uns ist Medienkompetenz untrennbar mit Demokratiekompetenz verbunden. Mit vielfältigen Projekten und Initiativen setzen wir uns für Meinungsbildung und Vertrauen sowie gegen Ausgrenzung und Hass im Netz ein.“ Die Telekom AG setze sich für ein Internet ein, in dem alle die Möglichkeiten der digitalen Welt nutzen könnten – ohne Ausgrenzung oder Hass befürchten zu müssen.

Diskussionsrunde beim mepodie Fachtag "Mit digitalen Kompetenzen die Demokratie stärken" am 30.03.2023 in Berlin
Diskussionsrunde beim mepodi-Fachtag „Mit digitalen Kompetenzen die Demokratie stärken“ am 30.03.2023 in Berlin
Foto: Andi Weiland, AKSB

Gelungenge Praxisbeispiele aus der politischen Medienbildung

Wie politische Bildung und Medienbildung gemeinsam Demokratie stärken können, zeigten eindrucksvoll die Praxisbeispiele von Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der HateAid gGmbH, Daniel Hildebrand, Projektleiter News Caching der medienblau GmbH und Vicky Lessing von Hidden Codes, einem Projekt der Bildungsstätte Anne Frank e.V.

Die gemeinnützige GmbH HateAid unterstützt Opfer von Hassrede, z.B. auch durch Prozesskostenhilfe. Dabei werde „der Ton im Netz immer rauer“, wie Anna-Lena von Hodenberg feststellte. Gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern, darunter auch die GMK und jugendschutz.net, setze man sich neben Hilfs- und Unterstützungsangeboten für die Vermittlung von digitaler Zivilcourage ein.

Das Projekt News Caching von medienblau vermittelt journalistische Kompetenzen und klärt zugleich über Fake News aus. Durch das wechselseitige Aufdecken von gezielt eingebauten Falschinformationen werden Informations- und Recherchekompetenz geschult.

Das Mobile Game Hidden Codes der Bildungsstätte Anne Frank sensibilisiert für radikale Strömungen und deren Codes und Erkennungszeichen. Wer diese kennt, kann sich klar abgrenzen. So können Jugendliche lernen, Haltung zu zeigen. (Zur Vorstellung in der Materialdatenbank mekomat.de)

Resümee

Als Resümee der unterschiedlichen Beiträge zur Fachtagung hielten Prof. Andreas Büsch, Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz, und Markus Schuck von der AKSB fest: Das Miteinander und Zueinander von politischer Medienbildung war erfreulicherweise überhaupt keine Frage! Denn politische Bildung braucht Medienbildung, um in einer medialisierten Gesellschaft die notwendige Kritische Kompetenz zu vermitteln, um künstlich generierte ebenso wie gefälschte oder falsch kontextualisierte Artefakte zu entlarven. Und Medienbildung braucht politische Bildung, um die problematischen Einflüsse von Filterbubbles und Desinformation auf das demokratische Gemeinwesen angemessen adressieren und auf politisches Engagement hin deuten zu können.

Dementsprechend können politische Bildung und Medienbildung gemeinsam einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Demokratie vor den Gefahren der digitalen Welt zu schützen. Gemeinsam müssen beide Professionen Menschen in jedem Lebensalter Fähigkeiten und Kenntnisse im Umgang mit Verschwörungsideologien vermitteln. Nur so kann Demokratie gestärkt werden und dauerhaft wehrhaft bleiben. Dabei bedarf es langfristiger struktureller finanzieller Förderung, mit der ein Recht auf digitale Bildung für jeden umgesetzt werden könne.

Fachtagung im Rahmen des bpb-Förderprogramms „Demokratie im Netz“

Die Fachtagung fand in der Reihe „mepodi: Medienbildung – politisch und digtal“ statt. Diese wird von der AKSB seit über zehn Jahren in Kooperation mit der Katholischen Akademie in Fulda, der Medienanstalt Hessen und der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz getragen. In diesem Jahr fand sie im Rahmen des AKSB-Projekts „Aus Erfahrung gut“ im bpb-Förderprogramm „Demokratie im Netz“ statt. Mit diesem Projekt hat die AKSB die Chance erhalten, die Medienkompetenz von Multiplikator:innen des sozialen Bereichs zu stärken. Gunter Geiger konnte im Rahmen der Fachtagung ein erstes Resümee zum Projektverlauf ziehen: „Es hat sich gezeigt, dass die Vermittlung von Medienkompetenz in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe von Politischer Bildung ist, die zur Sicherung und Stärkung unserer demokratischen Strukturen einen Beitrag leistet.“

Bei der Fachtagung erläuterte Dr. Tobias Fernholz, Leiter des bpb-Förderprogramms, die Zielsetzung des Programms und stellte einzelne Praxisbeispiele vor. Sein Fazit zur bisherigen Laufzeit des bpb-Förderprogramms: „Für die bpb im Allgemeinen und den Fachbereich politische Bildung und soziale Medien im Speziellen ist die Förderlinie bisher ein Erfolg. Das betrifft die Arbeit der Projekte selbst, die vielfach in kürzester Zeit innovative Projekte realisieren können, aber auch den durch die Förderlinie geschaffenen Arbeitszusammenhang und die Vernetzung der verschiedenen Träger. Digitale politische Bildung kann auf dieser Grundlage gemeinsam mit den Trägern weiterentwickelt werden.“

 

Edit 05.05.2023: Zitat Fernholz

Das könnte Sie auch interessieren:

1 Comments

  1. Pingback: Woran wir gerade arbeiten – Mai 2023 | Clearingstelle Medienkompetenz

Comments are closed.