Selbstverständlich ist der alten und neuen Bundeskanzlerin zu einem überragenden Wahlergebnis zu gratulieren. Und gleichzeitig gibt es Grund zur Freude, dass es kein einfaches „Weiter wie gehabt“ geben kann, da sich die Parteienlandschaft im Umbruch befindet. Hoffentlich schafft das wieder Platz für Themen, die im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt haben. Oder die scheinbar nur für eine Minderheit der Bürgerinnen und Bürger Grund zur Besorgnis sind.
Eines dieser Themen, das im Wahlkampf nur von den Piraten sowie ansatzweise von der FDP besetzt wurde, ist die NSA und ihre Aktivitäten. Sie erinnern sich: es gibt eine Einrichtung zur nationalen Sicherheit der USA, die deutsches und internationales Recht unter dem Vorzeichen sicherheitspolitischer Bedenken ignoriert. Und die nach Ansicht von Experten mehr über viele Bürgerinnen und Bürger auch in Deutschland weiß, als diese über sich selbst.
Nur: wo ist der Zorn auf eine Regierung, die diesem Treiben nicht umgehend und deutlich Einhalt gebietet? Wo ist der öffentliche Widerstand, wie er in den 1960er Jahren gegen die Notstandsgesetze oder in den 1980ern gegen die Volkszählung organisiert wurde? Wo bleibt das kollektive digitale wie analoge „Gefällt mir nicht“?
Nun ist bekannt, dass Teile der Unionsparteien ein sehr legeres Verhältnis zu Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung haben. Legendär z.B. Julia Klöckners Begründung für ihren Tweet aus einer eigentlich geheimen Bundespräsidentenwahl-Auszählung: „Ich bin sehr für Transparenz!“ Und dass die Kanzlerin im Jahr 2013 das Internet im Wesentlichen als „Neuland“ sieht, hat zu Recht für Spott vor allen in den Sozialen Netzen gesorgt.
Aber erstaunlich bleibt dennoch, dass das Thema NSA tatsächlich in der Versenkung verschwindet, sobald Kanzleramtsminister Pofalla aus dem Urlaub zurück ist und die Affäre für beendet erklärt.
Damit rückt neben den Politprofis der eigentliche Souverän in den Blick, von dem laut Art. 20 (2) GG alle Staatsgewalt ausgeht! Aber der notwendige gesellschaftliche Diskurs über Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs mit digitaler Kommunikation und unseren Daten scheint auf eine kleine Gruppe von Experten beschränkt. Für alle anderen scheint Datenschutz und Datensicherheit eher unsexy zu sein.
Natürlich ist der Komfort, den Cloud- und geobasierte Dienste bieten, verführerisch: mein Smartphone weiß, wo ich bin und wen ich dort treffen kann. Die letzten Online-Suchen aus dem Büro hat Google auch unterwegs für mich parat. Schöne Eindrücke kann ich überall und jederzeit mit Freunden teilen. Und die schnelle Kommunikation per WhatsApp, Twitter und Messenger hilft berufliches und privates Leben zu gestalten.
Vermutlich ist den Wenigsten klar, welche Spuren unsere Bedürfnisse an Kommunikation, Information und Unterhaltung hinterlassen. Also brauchen wir ein individuell geschärftes Bewusstsein für diese Ambivalenz unserer Mediennutzung.
Gesamtgesellschaftlich brauchen wir außerdem sicherlich eine Besinnung auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung, das nur durch geeignete Datenschutz-Maßnahmen zu haben und zu erhalten ist: „Für Eingriffe in die persönlichen Freiheitsrechte jedenfalls müssen gewichtige Gründe angeführt werden. Ein nicht näher ausgeführter und daher unkonkret bleibender Verweis auf notwendige Sicherheitsmaßnahmen (z. B. angesichts des transnationalen Terrorismus) ist rechtsstaatlich problematisch.“
Die medienethische Impulsschrift „Virtualität und Inszenierung. Unterwegs in der digitalen Mediengesellschaft“ der deutschen Bischöfe, der dieses Zitat entnommen ist, wäre sicher auch für die neue Bundesregierung eine lohnende Lektüre.
(Der Beitrag erschien am 28.09.2013 als Kommentar in der Tagespost – Widergabe mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)