Lösch dich! – So organisiert ist der Hass im Netz

Bild: zdf mediathek

Worum geht’s?

Eckdaten des Films: 

Dokumentation von Rayk Anders und Patrick Stegemann

Länge: 41 Minuten

Erscheinungsjahr, Produktionsland: 2018, Deutschland

Bonusmaterial:

Nicht gezeigte Ausschnitte aus den Interviews über den Youtube-Kanal Lösch Dich!

Produktion:

Funk, SWR

empfohlen ab 14 Jahren

Schuljahre: Sekundarstufe I: ab Klasse 9, Sekundarstufe II

Trolle, Hass und Hetze sind allgegenwärtig auf Social-Media-Plattformen, wobei es viele Abwandlungen davon gibt. Neben einfachen Provokationen kommen dabei leider auch harte Beleidigungen und Diffamierungen gegenüber Einzelpersonen und Menschengruppen vor. Inzwischen ist mit organisierten „Trollgruppen“ auch eine politische Dimension erreicht. Durch gezielte Absprachen untereinander werden als unterstützenswert angesehene Meinungen gepuscht und Kritik gnadenlos niedergemacht. Die Dokumentation „Lösch dich“ wirft einen genaueren Blick in diese Internetszene.

Welche medienpädagogischen Themen werden im Film angesprochen?

  • Social Media
  • Hate Speech („Hassrede“)
  • Trolle im Netz
  • Fake News
  • Wirkung und Folgen der Verbreitung von (falschen) Informationen
  • Meinungsbildung im Netz
  • (Organisierte) Fremdenfeindlichkeit im Netz
  • Counter Speech („Gegenrede“)

Zum Einsatz in der (außerschulischen) Medienarbeit mit Jugendlichen: 

Ein Großteil der Netzaktivität von Jugendlichen spielt sich in sozialen Netzwerken ab. Hier können sie in Kontakt mit Gleichaltrigen treten, Lebensereignisse in Form von Bildern und Videos teilen, ihre Reaktionen und Eindrücke anderen über Kommentare oder Emojis mitteilen oder sich zu aktuellen Themen informieren.

Häufig kommt man über diese Plattformen aber nicht nur mit FreundInnen in Kontakt, sondern auch mit Menschen, die nicht zwangsläufig derselben Meinung sind. Die Art, wie diese abweichende Meinung an die betroffenen Jugendlichen herangetragen wird, reicht von sachlicher Kritik über Provokation bis hin zu wüsten Beleidigungen, Mobbing und Hetze.

Diesem Aspekt von Social Media widmet sich der erste Abschnitt der Dokumentation (00:00 – 04:25). Über die aufgezeigten Beispiele und die beschriebenen Folgen von Hass im Netz kann ein Einstieg für eine Diskussion mit den Jugendlichen gefunden werden. Darin können sie ihre Erfahrungen mit Hate Speech oder Cybermobbing anbringen. Waren sie schon einmal selbst betroffen oder haben es bei anderen miterlebt? Wie wurde darauf reagiert? Hat man vielleicht selbst eingegriffen? Aufbauend auf diesen Erfahrungen können eigene Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise das Erarbeiten von Counter-Speech-Möglichkeiten oder das Prüfen der Privatsphäreeinstellungen auf eigenen Social-Media-Accounts, besprochen werden.

Eine Sonderstellung in den Kommentarspalten nehmen sogenannte Trolle ein. Sie stören die Kommunikation durch unnötige Zwischenrufe und Provokationen gegenüber anderen TeilnehmerInnen und haben kein Interesse an einem konstruktiven Meinungsaustausch. Diesem Thema widmet sich der zweite Abschnitt der Dokumentation (04:25 – 11:29). Anhand des Interviews mit den „Youtube-Trollen“ Imp und Dorian sollen die ZuschauerInnen einen Einblick in die Ansichten solcher NutzerInnen erhalten. Im Vorfeld zum gezeigten Interview werden beide sehr eindimensional und nahe der politisch rechten Szene dargestellt. Im anschließenden Interview zeigt sich bereits ein weniger manipulatives Bild, welches in der längeren Interviewfassung nochmals bestärkt wird. Um einen differenzierteren Eindruck zu erlangen, empfiehlt sich somit die Interviewfassung des Bonusmaterials anzusehen. In beiden Versionen sind jedoch zwei entscheidende Punkte enthalten: Zum einen berufen sich beide Interviewpartner in ihren Aussagen stets auf die Meinungsfreiheit und auf ihren speziellen Humor. Diese These kann als Grundlage für eine Gruppendiskussion genutzt werden. Dabei sollte darauf eingegangen werden, was Meinungsfreiheit bedeutet, welchen Stellenwert sie in unserer Gesellschaft einnimmt und welche Haltungen es zu Zensur gibt. Direkt auf die Doku bezogen heißt das: Ab wann ist eine Meinung oder Kritik als Hass oder Beleidigung zu sehen? Kann Humor (bspw. bei HKNKRZ-T-Shirt) oder die Meinungsfreiheit (bspw. bei Holocaustleugnung) eine Grenze haben? Inwieweit ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sinnvoll? Zum anderen ist es die verwendete Ausdrucksweise innerhalb ihrer Kritikvideos („Lösch dich!“). Warum eine solche Rhetorik verwendet wird, wird im Interview nicht geklärt. Trotzdem wirkt sich diese auch auf die sonstige Kommentarkultur im Netz aus. Dieser Aspekt kann ebenfalls mit den Jugendlichen näher besprochen werden. Orientierungsfragen hierzu könnten lauten: Wie sollte Kritik angebracht werden und nimmt das Internet dabei eine Sonderstellung ein? Was trägt zu einer Verrohung im Internet bei? Werden durch eine vulgäre Ausdrucksweise valide Kritikpunkte entkräftet?

Der dritte Abschnitt der Dokumentation (11:29 – 16:10) widmet sich der Organisation der Trolle im Netz, welche Auswirkungen ihr Handeln haben kann und wie sie damit unsere Meinungsfindung beeinflussen. Auch dieser Abschnitt ist für Jugendliche aktuell, da ein Großteil von ihnen Informationen über Neuigkeiten ausschließlich aus dem Internet gewinnt und darüber auch die eigene Meinung zu verschiedenen Themen bildet. Dass offen gezeigte Zustimmung und Weiterverbreitung auch gekauft sein kann, ist allerdings nur wenigen bewusst. Jugendliche gelten bei Trollen deshalb auch als leicht beeinflussbare „Beute“, sodass sie auf sozialen Netzwerken oft direkt mit Fake News konfrontiert werden. Somit ist es wichtig, die jungen NutzerInnen auf diesen Sachverhalt aufmerksam zu machen und mit ihnen zu besprechen, wo sie an gesicherte Informationen herankommen und wie sie sich bei zweifelhaften Quellen Sicherheit verschaffen können. Die Notwendigkeit der kritischen Rezeption von medialen Inhalten kann bereits anhand der Dokumentation aufgezeigt werden. So können die enthaltenen gekürzten Interviewfassungen mit den Originalen verglichen werden. Besteht eine Divergenz zwischen beiden Versionen? Welche Bilder werden durch eine bewusste Auswahl vermittelt? Zusätzlich kann reflektiert werden, welche Informationen von der eigenen Person selbst geteilt werden und ob man stets für den Wahrheitsgehalt bürgen könne. In diesem Abschnitt wird ebenfalls die Verwendung von Memes im Internet als beliebtes Mittel der Stimmungsmache beschrieben. An die Jugendlichen könnte dabei die Frage gehen, ob und in welchen Kontexten sie Memes kennen und verwenden.

Der vierte Teil der Dokumentation (16:10 – 31:00) zeigt dann die politische Bedeutung des organisierten Trollings für rechte Gruppen, wie die Identitäre Bewegung oder die Alternative für Deutschland. Hierbei werden den Jugendlichen direkte Einblicke in eine solche Struktur gegeben und aufgezeigt, mit welchen Methoden an Andersdenkende herangegangen wird. Bei diesem Abschnitt können mit den Jugendlichen Erfahrungen zu rechtsextremem Auftreten im Netz gesammelt werden. Wie präsentieren sich rechte Parteien im Internet? Wie werben sie neue Mitglieder? Sind die Jugendlichen bereits mit entsprechenden Kommentaren oder Parolen in Kontakt gekommen? Welche Stellung haben die Jugendlichen zu solchen politischen Positionen? Ebenfalls kann allgemeiner über Politik im Netz gesprochen werden. Wie handhaben es die Jugendlichen mit ihrer politischen Meinung im Netz? Machen politische Diskussionen im Netz Sinn?

Der abschließende Teil der Dokumentation setzt sich mit dem Thema Counter Speech und anderen Möglichkeiten, sich gegen Hass im Netz zur Wehr zu setzen, auseinander. Diese Ansätze können ebenfalls als Input zur obigen Diskussion über die Erfahrungen mit Hate Speech eingesetzt werden.

Zum Einsatz in der Arbeit mit Eltern oder in der Arbeit mit LehrerInnen und PädagogInnen:

Auch für Erwachsene sind die in der Dokumentation angesprochenen Themen aktuell. Hate Speech und Beleidigungen im Netz sind nicht ausschließlich ein Problem von Jugendlichen. Vor allem in organisierten politischen Gruppen sind Volljährige die hauptsächlichen Akteure. Alle angesprochenen Einsatzmöglichkeiten können somit auch in der Arbeit mit Eltern, LehrerInnen und PädagogInnen Anwendung finden.

Des Weiteren können die Erwachsenen zu einem Dialog mit Jugendlichen angeregt werden. Wissen sie beispielsweise Bescheid, welche sozialen Medien ihr Kind bzw. ihr Schüler/ihre Schülerin verwendet? Wird das Thema Hate Speech in der Familie oder dem Klassenzimmer thematisiert? Wurde eventuell bereits ein Schützling im Netz attackiert und (wie) wurde dies aufgegriffen?

Bezüglich der Verrohung von Sprache und Kritik im Netz sowie dem Auftreten rechter Hetze auf Social-Media-Plattformen sollte Jugendlichen in jedem Fall klare Werte und Richtlinien vermittelt werden. Hierzu gehört es auch, dass die Erziehenden sich ihrer Stellung zu diesen Themen bewusst sind und ein gemeinsames Konzept verfolgen. Entsprechende Positionen können dann unter Lehrenden und Elternteilen ausgetauscht und gefestigt werden.

Anknüpfungspunkte für aktive Medienarbeit: 

  • Aufstellen von Verhaltensregeln für eine faire Kommunikation im Netz sowie für Counter Speech
  • Einübung von Counter Speech im Klassenverband
  • Übungen zum Anbringen von (konstruktiver) Kritik
  • Online-Experiment: Die Teilnehmenden werden innerhalb einer Social-Media-Gruppe in drei Parteien aufgeteilt. Die erste Partei postet nette Äußerungen zu bestimmten Themen. Die zweite Partei arbeitet auf destruktive Weise gegen die Aussagen. Die dritte Partei soll als vermittelndes Element einwirken. In einer Feedback-Runde gilt es dann folgende Fragen aufzuarbeiten: Wie geht es mir, wenn ich mit Hasspostings konfrontiert werde? Wie geht es mir, wenn ich eigene Hasspostings verfasse? Wie geht es der Person in der vermittelnden Stellung?
  • Filmprojekt: Betrachtung des Videos der Nicht-Egal-Kampagne oder des Videos „Wir sind keine Hurensöhne! – Kommentarkultur im Netz“ als Input, Erstellen eigener Clips zum Thema Hate Speech/Counter Speech
  • Erstellen von Memes zu Counter Speech (Vorlagen)
  • Abo-Check: Auswertung von Social-Media-Profilen: Wem folge ich? Welche Inhalte posten diese Leute?
  • Troll-Analyse: Wie präsentieren sich die in der Doku benannten Trolle auf verschiedenen Kanälen (YouTube, Twitter)?
  • Internet-Quellencheck zu aktuellen Themen, beispielsweise über den SWR Fake-Finder

Für wen? 

LehrerInnen, MedienpädagogInnen, Eltern und Jugendliche ab 14 Jahren

Bezugsmöglichkeiten:

Die Dokumentation steht sowohl in der Funk-Mediathek als auch über den Youtube-Kanal von Rayk Anders online zur Verfügung und kann in beiden Fällen kostenlos abgerufen werden. Ergänzende, geschnittenen Interviews sind in Videoform über den dazugehörigen Kanal Lösch Dich! erreichbar. Die vollständigen Transkripte sind unter jedem Interview verlinkt.

Fazit: 

Die Dokumentation „Lösch Dich!“ nimmt das Phänomen Hass im Netz genauer in den Blick und deckt dabei Systematiken und Ideologien auf, die den konstruktiven, gesellschaftlichen Diskurs online als auch offline gefährden. Die enge Verstrickung mit politischer Meinungsbildung zeigt, dass das Thema sich nicht mehr einzig auf die digitale Welt beschränkt, sondern schon heute große Auswirkungen auf unser gesamtes Leben besitzt. Somit ist die Auseinandersetzung mit dem Thema sowie die Erarbeitung von Gegenentwürfen zu dieser Entwicklung brandaktuell, unumgänglich und unterstützenswert. Aus diesem Grund wurde die Dokumentation auch von der Otto-Brenner-Stiftung mit dem 3. Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus 2018 ausgezeichnet.

Leider besitzt die Dokumentation auch ihre Schwächen. So wird unter anderem unzureichend zwischen echten Kritikern, einfachen Trollen und politisch motivierten und organisierten Hatern differenziert, wodurch letztendlich der Eindruck entsteht, alle in der Dokumentation gezeigten Personen würden einer rechten Ideologie anhängen und seien grundsätzlich nicht an einem offenen Diskurs interessiert. Vielmehr scheinen Interviewausschnitte gezielt durch den Schnitt inszeniert worden zu sein, um den Zuschauern ein entsprechendes Bild zu vermitteln. Hierauf sollte der/die Vorführende die RezipientInnen hinweisen und gegebenenfalls auf die ergänzenden Bonusmaterialien zurückgreifen.

Das könnte Sie auch interessieren: