Kirche und Künstliche Intelligenz? Da war doch mal was. Genau. Zum Reformationsjubiläum stellte die evangelische Kirche den Segensroboter „BlessU-2“ vor (im Youtube-Video kann man ihm im Einsatz sehen) und löste damit kontroverse Diskussionen aus, die beispielhaft für den bisherigen Umgang der beiden Kirchen mit dem Buzzword-Thema KI bzw. AI (artificial intelligence) angesehen werden können: Einerseits die Befürworterinnen und Befürworter, die das Thema hypen und fast schon überhöht darstellen und andererseits die Gegner und Gegnerinnen, die durch Roboter und KI einen Verlust von personaler Kommunikation und von einer der Grundfunktion der Kirche (Seelsorge im Dialog mit den Menschen) befürchten.
Dazwischen stehen die beiden Kirchen, die bisher (noch) keine adäquate Antwort auf die Fragen des Umgangs mit KI und AI gefunden haben. Erste Vorstöße hat der evangelische Medienbischof Volker Jung in dem lesenswerten Buch „Digital Mensch bleiben“ im Februar 2019 gegeben. Und derzeit arbeitet wohl auch die Publizistische Kommission der Deutschen Bischofskonferenz an Thesen zum Umgang mit der Künstlichen Intelligenz, wie am Rande der Tagung Kirche im Web 2020 in Stuttgart bekannt wurde.
Es scheint also genau der richtige Zeitpunkt zu sein, dass Kirche sich dem Themenfeld KI bzw. AI intensiver zuwendet. Zumal der Vatikan am 28. Februar 2020 eine neue Debatte zum Thema ethische Maßstäbe für neue Technologien initiiert hat.
Rome Call for AI Ethics
Die Päpstliche Akademie für das Leben hat gemeinsam mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft (Microsoft-Präsident Smith und IBM-Vizepräsident Kelly) und Politik (Präsident des Europäischen Parlaments Sassoli) in Rom den Ethik-Codex „Rome Call for AI Ethics“ veröffentlicht. Wie Vatican News berichtete hat Papst Franziskus in seinem Redemanuskript dazu den „unlauteren Einsatz digitaler Techniken kritisiert“ und zu einer „Regulierung von Künstlicher Intelligenz“ aufgerufen. Insbesondere appellierte der Heilige Vater dazu, die so genannte „Algor-Ethik“ – eine „Verankerung ethischer Maßstäbe bei der Anwendung von Algorithmen“ – in der Informatik zu berücksichtigen. Papst Franziskus verweist dabei auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Themas und setzt sich dafür ein, dass „die neuen Techniken insgesamt und langfristig dem Gemeinwohl aller zukommen“.
Trotz dieser mahnenden Worte würdigt der Redetext auch das „große Potential“ neuer Technologien. Vatican News zitiert aus der Papstrede: „Diese Gabe Gottes könne auch Früchte des Guten tragen“. Papst Franziskus verweist dabei besonders auf die Bedeutung von Menschenwürde, Gerechtigkeit, Transparenz und Solidarität.
Der vor kurzem veröffentlichte Ethik-Codex „Rome Call for AI Ethics“ greift diesen Appell des Heiligen Vaters auf und betont vor allem die Bereiche Inklusion und Transparenz. Im Codex werden dazu sechs Themenfelder als „fundamentale Elemente für gute Innovationen“ benannt: 1. Transparenz, 2. Einbeziehung, 3. Verantwortung, 4. Unparteilichkeit, 5. Zuverlässigkeit und 6. Sicherheit & Datenschutz.
Tagung Kirche im Web 2020
Im Rahmen der Tagung #kiw20 diskutierten am 05./06. März 2020 in Stuttgart 70 Medienschaffende beider Kirchen die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz für Kirche und Medien. Bei der Debatte in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart wurden dabei die Themenbereiche „Verantwortung“ und „Transparenz“ als wichtigste Themenfelder „gevotet“. Zudem wurde von mehreren Teilnehmenden kritisiert, dass in der bisherigen Debatte die Bedeutung von (Digitaler) Pastoral und Ethik im Zusammenhang mit KI bzw. AI zu kurz und dafür die rechtlichen Bedenken vor allem im Bereich Datenschutz als (zu) hoch bzw. als unüberwindbare Hürde dargestellt wurden.
Prof. Andreas Büsch von der Katholischen Hochschule Mainz und Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz stellte in seiner Keynote „Digitalisierung und KI: Was hat das mit Kirche zu tun?“ die entscheidende Frage:
„Ist die Seele online?“
Büsch verwies in seinem Vortrag darauf, dass die Digitalisierung die Bereiche Diakonia, Martyria und Leiturgia der Kirche verändern werde. Dies bringe einige Herausforderungen mit sich, aber auch viele Chancen, vor allem die, eine „Communio im Vollsinn“ zu erreichen. Denn das vermeintliche Alleinerstellungsmerkmal der „Face to Face- Kommunikation“ könne digitale Pastoral überwinden, indem sie einen niederschwelligen Zugang und gleichzeitig Präsenz in der Fläche ermögliche. Dazu sei es aber wichtig, einer „dialogischen Pastoral“ den Vorrang vor einer „Verkündigungspastoral“ zu geben, wie Prof. Büsch betonte. Dabei sollte Kirche laut Büsch keine „Insellösung“ anbieten, „in der alles gut ist“, sondern sich die Frage stellen: Wie kann Kirche Relevanz (in der realen Welt / in den realen Medien) erzeugen?
Es gehe darum Räume zu schaffen, „in der Kirche authentisch wirken kann“. Mithilfe von digitalen „Seismografen“, „authentischen Akteuren“ und der „Entwicklung glaubwürdiger und milieusensibler Medienformen“ könne auch der These „Kirche schafft sich durch KI ab“ wirksam entgegengetreten werden. Dafür benötige es aber eine „Abkehr von Territorialprinzip“ und dem Zulassen von neuen liturgischen Formen im Netz, wie Prof. Büsch weiter ausführte.
Künstliche Intelligenz benötigt Ethik!
Bei der abendlichen Kamingespräch-Diskussion betonte Prof. Doris Aschenbrenner, Assistent Professor an der TU Delft und Dr. der Informatik mit dem Schwerpunkt Robotik, dass in der Debatte über KI und AI vor allem eine „Entzauberung“ notwendig sei. KI bzw. AI werde sich dem Menschen weiter annähern, „aber nie den Menschen komplett ersetzen können“. Dabei verwies Prof. Aschenbrenner im Gespräch mit Prof. Andreas Büsch vor allem auf die Bereiche Emotionen und Empathie.
Um eine gesamtgesellschaftliche Debatte anzustoßen, befürwortete die KI-Expertin, wenn sich Kirche in diesem Bereich stärker einbringen würde. „Kirche kann ein guter Brückenbauer sein“ und ihren „Markenkern“ (persönlicher Kontakt mit den Menschen) auch in den Bereich Digitales einbringen. Die Kirche könne dabei „Agenda setting“ für die ethischen Fragen und verantwortungsvolle Innovationen in der KI betreiben.
Dialog über die Digitale Gesellschaft benötigt Kirchen
Zum Abschluss der Tagung Kirche im Web 2020 diskutierte Moderator Felix Neumann von katholisch.de im Gespräch mit Lorena Jaume-Palasi von The Ethical Tech Society in Berlin und mit Prof. Thomas Zeilinger Professor für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen/Nürnberg, über die Bedeutung des Tagungsthemas „Lasst Maschinen Kirche machen?!“ für Politik und Wissenschaft. Dabei wurde deutlich, dass die Kirchen für den Dialog zur Gestaltung der digitalen Gesellschaft in Deutschland benötigt werden.
Die nächste Tagung Kirche im Web wird am 11./12. März 2021 in Münster stattfinden. Der Arbeitstitel lautet: „Die Rolle der Kirche in der digitalen Gesellschaft“ (weitere Informationen zu #kiw21 auf (Edit 23.11.2023: Link entfernt, Inhalt nicht mehr verfügbar).
Text: Christian Schnaubelt, Redaktionsleiter explizit.net – Ressortleiter Kirche & Medien
Mit freundlicher Genehmigung des Autors von explizit.net