Krieg findet in und mit Medien statt

Krieg in der Ukraine - Protest New York
Protestierende vor der russischen Botschaft in New York
Foto: Tong Su – Unsplash.com

Neben den eigentlichen „analogen“ Kriegshandlungen wird gerade auch ein „digitaler“ Krieg im Netz gefochten – um Informationen und Desinformationen über Social Media und Co. Der Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz, Prof. Andreas Büsch, rät im Interview mit DOMRADIO.DE zu Besonnenheit auch online.

DOMRADIO.DE: Was sich im Gegensatz zu früheren Kriegen geändert hat in der medialen Schlacht um die Deutungshoheit sind die Kanäle. Mit den diversen sozialen Medien gibt es heute ungleich mehr Möglichkeiten, Information oder auch Desinformation zu verbreiten als früher. Was bedeutet das?

Prof. Andreas Büsch (Leiter Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz): Das zentrale Thema dabei ist meines Erachtens der Verlust von professionellen Gatekeepern. Es gibt in sozialen Medien, in sozialen Netzen keinen Chefredakteur, keine Chefredakteurin vom Dienst, die als letzte Instanz die Richtigkeit einer Aussage prüft, bevor sie online oder in den Druck oder über den Sender geht. Jede und jeder produziert, sobald er oder sie Social Media nutzt, seinerseits Nachrichten und Information. Das fängt an beim kleinen Klick auf “Like – Gefällt mir”, das ist ja schon eine Meinungsäußerung. Das wird umso deutlicher, wenn ich etwas kommentiere und erst recht, wenn ich selbst etwas poste. Wir sind längst nicht mehr nur Rezipienten, wir sind Prosumer – wir produzieren und konsumieren Nachrichten jederzeit im Rollenwechsel. Das ist grundsätzlich eine fantastische Chance für eine niedrigschwellige Beteiligung. Denn damit schaffen wir einen auch demokratietheoretisch ganz notwendigen Diskurs, den Austausch von Argumenten: Jemand behauptet etwas, jemand anderes stellt das in Frage, ein Dritter gibt ein Argument dazu – fantastisch! Aber – und das ist natürlich ein ganz gewichtiges “aber”: Diese Chance kann sich auch schnell in ihr Gegenteil verkehren, weil leider wirklich jede und jeder seinen oder ihren Unsinn von sich geben kann. Gerade heute habe ich auf Twitter eine verstörende Argumentation gelesen. Tenor: Die Tatsache, dass ARD und ZDF aufgrund der jüngsten Mediengesetze in Russland die Berichterstattung eingestellt haben, sei ja gerade ein Beweis dafür, dass sie nur Lügen verbreiteten, also Exponenten der Lügenpresse seien. Da muss man erst einmal draufkommen!

Was tun gegen Fake News?

DOMRADIO.DE: Fake News haben es heute also vergleichsweise leicht. Und leider ist es so, dass – wie absurd diese Fake News auch sein mögen – bei einigen Adressaten etwas davon hängenbleibt. Bestes Beispiel: Wenn Putin den ukrainischen Präsidenten Selenskyj, der Sohn Holocaust-Überlebender ist, als Neonazi bezeichnet. Was also können wir tun, um solchen Fake News entgegen zu steuern?

Büsch: Wir brauchen zunächst einmal die Grenzziehung: Bis wohin geht Satire? Bis wohin ist ein Fake vielleicht sogar nett und harmlos? Einige haben vielleicht auch gehört, dass Queen Elizabeth II. als Ausdruck der Solidarität mit der Ukraine ein blau-gelbes Kostüm getragen haben soll. Aber dann kam relativ schnell heraus, dass das Beweisfoto eine Kombination zweier älterer Fotos war. Das ist nett, das ist harmlos. Bei Behauptungen, wie Sie sie ansprechen, werden dagegen Grenzen überschritten. Das Erste, was ich nur jedem und jeder raten kann, ist Aufklärung mit rationalen Argumenten. Bemühen Sie dazu Quellen wie correctiv.org oder den Faktencheck großer öffentlich-rechtlicher Medien oder zum Beispiel mimikama.at. Das ist sicher mühsam; aber was die Kolleginnen und Kollegen da leisten, ist unverzichtbare Recherchearbeit, um Betrug und Täuschung zu entlarven.

Zum Zweiten: Beziehen Sie Stellung, trauen Sie sich, auch einmal Gegenrede in sozialen Medien zu liefern und zu sagen: “Nein, das stimmt so nicht! Ich habe das überprüft, hier ist die Quelle.” Und drittens – und da kommen wir in den Bereich der Medienpädagogik: Wer so etwas kann, der sollte sich durchaus an kreativen Methoden mit Memes oder etwas Satirischem versuchen.

Das Problem Nummer eins ist natürlich – wie auch bei Verschwörungserzählungen überhaupt oder angesichts einer stabilen Quote von 25 Prozent Impfverweigerern: Das luzide, rationale Argument verfängt offensichtlich leider nicht bei jedem und jeder. Problem Nummer zwei: Bei einer kompletten Umkehrung der Realität, wie sie der russische Präsident mit offensichtlich völlig kontrafaktischen Behauptungen vornimmt, verliert natürlich die Idee einer kritischen Gegenposition irgendwo ihren Sinn bzw. wird ihrerseits dann ins Gegenteil verkehrt.

DOMRADIO.DE: Sie haben das Bild der Queen und ihrem angeblich blau-gelben Kostüm erwähnt. Das Netz ist ja gerade voll von Bildern und Videoclips rund um den Krieg. Und längst nicht alle Bilder zeigen wirklich das, was sie vorgeben zu zeigen. Wie können wir da den Durchblick bewahren? Was raten Sie?

Büsch: Vielleicht halten Sie mich für naiv, aber ich finde das zunächst einmal toll, wenn Menschen sich äußern, wenn Menschen sich solidarisieren, ein Unrecht anprangern. Das kann man ja schon tun, indem man sich einen kleinen blau-gelben Streifen irgendwo auf das Profilbild klebt oder ähnliches. Aber natürlich ist Vorsicht geboten: Ich muss mich tatsächlich bei allen Bildern fragen: Zeigen sie wirklich das, was sie vorgeben? Die Berichte von den genannten Quellen kann man sehr gut überprüfen. Die sagen: “Nein, dieses Flugzeug, das da angeblich abgeschossen worden ist, hat überhaupt nichts mit der Ukraine und Russland zu tun, sondern das ist irgendwo 1993 aufgenommen worden.” Schauen Sie also genau hin, leiten Sie nichts ungeprüft weiter. Selbst Twitter gibt ja inzwischen die Warnung aus, wenn ich auf retweeten klicke: “Willst du den Artikel erst lesen, bevor du ihn weiterleitest?” Mein Rat ist also, einen Gang herunterzuschalten, noch einmal kurz nachzudenken und erst zu prüfen, was man da weiterleitet. Das alles gilt natürlich nur unter der Prämisse, dass Menschen überhaupt an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert sind und eben nicht ihrerseits irgendwie Meinungsbildung bis hin zur Hetze betreiben wollen.

Nicht instrumentalisieren lassen!

DOMRADIO.DE: Eine besonders perfide Spielart der Fake News sind die so genannten Deep Fakes. Erklären Sie doch noch einmal genau was das eigentlich ist.

Büsch: Es ist heute fast jedem Nutzer und jeder Nutzerin möglich, mit einem ganz normalen PC oder Laptop etwas zu erzeugen, wofür man vor zehn oder zwanzig Jahren noch Special-Effects-Studios mit millionenteurem Equipment gebraucht hat: Nämlich einen Videoclip von jemandem zu nehmen und dann über Sprachsynthese dort andere Aussagen drunter zu legen, als derjenige sie jemals getätigt haben würde. Und so erzeugt man dann Videos, in denen zum Beispiel – das ist ein recht bekannter Fall – Präsident Obama seinen Nachfolger Trump angeblich beschimpft. Wenn das aufgelöst wird, sieht man den eigentlichen Sprecher dahinter, der das gebaut hat. Das also sind Deep Fakes: Videos, die so gefälscht sind, dass sie ohne solide Kenntnisse in IT-Forensik eigentlich für normal sterbliche Menschen gar nicht als Fake zu identifizieren sind. Wer ganz kritisch ist, dem kommt vielleicht eine Aussage komisch vor nach dem Motto “Das kann der- oder diejenige doch gar nicht gesagt haben!” Aber überprüfen können wir das nur sehr schlecht. Tatsächlich ist mir jetzt im aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt noch kein Deep Fake untergekommen. Ich bin mir aber sehr sicher, dass so etwas auch dort längst in den Medien kursiert.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade gesagt, Sie finden es eigentlich ganz schön, wenn jetzt Menschen zum Beispiel ihre Profilbilder mit blau-gelben Fahnen als Solidaritätszeichen versehen. Wie ist das denn mit Putin-Karikaturen oder auch rührenden Bildern von Kindern auf der Flucht? Ist das eher gut, wenn man so etwas teilt? Oder ist es eher schwierig?

Büsch: Das ist in meinen Augen tatsächlich hochgradig ambivalent. Ich weiß gar nicht, ob es rührende Bilder von Kindern auf der Flucht überhaupt geben kann. Ich habe gehört, dass die dritten Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gerade daran scheitern, dass Russland gefordert hat, Flüchtende nur über Belarus oder Russland selbst ausreisen zu lassen. Dahinter steht das Interesse, später die passenden Fernsehbilder zeigen zu können. Da müssen wir tatsächlich aufpassen, was wir teilen, inwiefern wir uns dann eventuell auch für Propaganda instrumentalisieren lassen.

DOMRADIO.DE: Welche Rückkopplung kann all das, was da medial ausgefochten wird, auf die realen Kampfhandlungen haben?

Büsch: Ich lese, dass tatsächlich viele Menschen sich aufmachen, unerfahrene Studierende oder Menschen, die einmal Soldaten waren. Dass sie ihr Leben hier in Deutschland aufgeben und in die Ukraine ziehen, um dort an der Seite der ukrainischen Armee zu kämpfen. Das ist offensichtlich eine ganz reale Auswirkung der Berichterstattung, die ich höchst bedenklich finde. Nicht, weil ich gegen einen notwendigen militärischen Widerstand wäre, aber ich glaube, das ist doch etwas anderes, ob sich da professionell ausgebildete Soldaten aufmachen oder irgendwelche – ich nenne sie jetzt einfach so – Freischärler. Was ich andererseits sehe, ist hier eine riesige Welle der Solidarität, wie wir sie uns oder zumindest Teile der Bevölkerung sich gewünscht haben, dass nämlich Flüchtende mit offenen Armen komplikationslos willkommen geheißen werden. Das hat zwar keine unmittelbare Auswirkung auf Kampfhandlungen, aber es ist ein, wie ich finde, leuchtendes Beispiel von Humanität. Das ist sicherlich auch ein Erfolg der breiten, hier bei uns Gott sei Dank eben freien Berichterstattung über das, was da passiert.

Hacken gegen den Krieg?

DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie, wenn sich Hacker wie die der Gruppe Anonymous einschalten, Webseiten des Kremls lahmlegen und dazu aufrufen, über Restaurantbewertungen bei Google russische Bürgerinnen und Bürger darüber aufzuklären, was Putins Truppen da wirklich in der Ukraine tun?

Büsch: Wie so vieles scheint mir auch das sehr ambivalent. Zunächst mal finde ich es klasse, dass Menschen, die diese Fähigkeiten haben, diese auch einbringen und sagen: “Stopp! Wir werden auch unsererseits alles tun, um einem Kriegstreiber und seiner Administration ihre Grenzen aufzuzeigen!” So setzen sie den bekannten Cyberangriffen aus Russland etwas entgegen. Auch die Idee mit den Restaurantbewertungen habe ich, ich gestehe es, selbst erst einmal geliket. Aber es gibt zum Beispiel russische Restaurants-Besitzer, die schon lange hier in Deutschland leben und klar sagen: “Entschuldigung, das ist nicht unser Krieg, wir wollen den nicht. Wir stehen überhaupt nicht für das, was Putin da macht!” Wenn ausgerechnet sie hier schlechte Bewertungen bekommen, wird es schwierig, da braucht es mehr Augenmaß. Dagegen kann es eine sinnvolle Sache sein, bei z.B. McDonald‘s in Moskau über diesen Trick ein paar Fakten unterzubringen. Da sollten bitte alle genau hingucken, was sie wo machen.

DOMRADIO.DE. Sie haben schon früher den Zusammenhang zwischen Krieg und Medien in fünf Grundsätzen formuliert. Wie lauten die?

Büsch: 1. Krieg wird durch Medien vorbereitet und begleitet. 2. Krieg wird in Medien dargestellt. 3. Krieg wird für Medien inszeniert. 4. Krieg wird durch Medien geführt. 5. Medien werden durch Kriege beeinträchtigt – genau das, was wir ja auch jetzt mit den jüngsten Mediengesetzen in Russland erleben.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie angesichts dieser Bilder- und Informations-bzw. Desinformationsflut jetzt gerade auch katholische, kirchliche Medienleute besonders in der Pflicht, Aufklärung zu leisten, zur Besonnenheit aufzurufen?

Büsch: Aufklärung leisten, zur Besonnenheit aufrufen – das sollten wir alle tun. Das versuche ja auch ich als kirchlicher Medienakteur, als medienpädagogische Akteur. Ich glaube, dass es uns gut ansteht angesichts dieser humanitären Katastrophe, für die es keine vernünftige militärische Antwort aus dem Westen geben kann, alles zu tun, um geprüfte Informationen zu propagieren. Wir sollten alles tun, um Menschen zu qualifizieren, an geprüfte Informationen zu kommen. Und wir müssen alles in unserer Macht Stehende dafür tun, damit dieses unsinnige Leiden möglichst schnell beendet wird.

Das Interview führte Hilde Regeniter für Domradio.de. Wir bedanken uns für die freundliche Grenehmigung zur Übernahme des Textes.

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