Gewalt im Fernsehen: Was Kindern Angst macht

Kleines Mädchen vor dem Fernseher
© pix4U – Fotolia.com

Wie reagieren Kinder auf aggressive Darstellungen?

Viele Eltern machen sich Sorgen, wie ihre Kinder mit Filmen im Fernsehen zurechtkommen, die auch aggressive oder gewalthaltige Inhalte haben. Gehen wir nicht von Wunschvorstellungen aus, sondern von der Realität: Kinder schauen Fernsehen. Jedes Vorschulkind schaut in Deutschland pro Tag im Durchschnitt etwa 70 Minuten fern und ein Grundschulkind circa 90 Minuten täglich. Zum Vergleich dazu sollten wir bedenken, dass jede erwachsene Person in Deutschland zwischen drei und vier Stunden täglich vor dem Fernseher verbringt.

Auch wenn man diese Zahlen erschreckend empfindet, so sagen sie über die bevorzugten Inhalte und deren Wirkung noch reichlich wenig aus. Aggressive oder gewalthaltige Szenen kommen nicht selten in den bei den Kindern sehr beliebten Zeichentrickfilmen und Action-Cartoons vor. Aber oft kommen ängstliche Reaktionen von Kindern auch völlig überraschend und unerwartet. Da wird die Sendung „Heidi“ oder die „Sesamstraße“ plötzlich zum „Minihorror“ für Kinder.

Eltern interessieren sich häufig für die folgenden Fragen:

  • Wie wirken Gewaltdarstellungen auf Kinder?
  • Wie nehmen Kinder Gewalt wahr?
  • Welche Sendungen können beim Fernsehen Angst auslösen?
  • Wie verarbeiten Kinder das Gesehene?
  • Wie können sie bei der Verarbeitung unterstützt werden?

Um festzustellen, wie Fernsehen auf Kinder wirkt, was Kinder im Fernsehen besonders gern sehen und was ihnen eher Angst macht, muss man sich ihr Rezeptionsverhalten ansehen.

1. Wie wirken Gewaltdarstellungen auf Kinder? Wie nehmen Kinder Gewalt wahr?

Mit Blick auf Vor- und Grundschulkinder lassen sich folgende Studien-Ergebnisse zusammenfassen:
Filmgewalt wirkt immer in einem Kontext. Aggressive Medieninhalte führen nicht zu aggressivem Verhalten, sondern sie wirken vorrangig in einem Bündel von Faktoren, wie etwa dem Umgang mit Gewalt in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule. Gewalthaltige Szenen wirken nicht unbedingt, wenn sie besonders brutal, blutig oder gewalttätig sind, sondern wenn sie einen individuellen Sinn durch ihre Nähe zu den Erfahrungen der Kinder bekommen.

Die differenzierte Wahrnehmung von Gewaltszenen ist stark beeinflusst durch das Alter und Geschlecht der Kinder sowie ihrem sozialen Umfeld. Die Fähigkeit, verschiedene Formen der Gewaltdarstellung (Nachrichten, Reality-TV, Spielfilm, Trickfilm usw.) zu erkennen, zu differenzieren und zu bewerten, nimmt mit Alter und Schulbildung zu.

Die Bewertung medialer Gewaltdarstellungen geschieht in der Regel nicht anhand der Gewalthandlung selbst, sondern mit Blick auf die sichtbaren Folgen beim Opfer, das heißt, wenn es leidet, blutet, regungslos da liegt oder in ein Krankenhaus muss. Jungen und Mädchen nehmen Gewalt im Fernsehen unterschiedlich wahr.

Jungen sehen als Gewalt vorwiegend körperliche Verletzungen mit drastischen Folgen an, Mädchen hingegen stufen schon Prügeleien als Gewalt ein. Action- und Zeichentrickgewalt erscheinen weniger schlimm, wenn sich die dargestellte Gewalt im Sinne des guten Medienhelden rechtfertigen lässt und wenn die Folgen der Gewalthandlungen nicht sichtbar sind.

Kind vor dem Fernseher

2. Welche Sendungen können beim Fernsehen Angst auslösen?

Welche Fernsehsendungen beunruhigen Kinder stärker und und lösen als Folge dann Angst und Verunsicherung aus? Sechs Aspekte helfen, die Sicht der jungen Zuschauer einzunehmen und sie so zu verstehen.

Umweltkatastrophen und Unglücke in Nachrichten oder Reality-TV-Sendungen Unglücke wie Zugentgleisungen, Autounfälle, Gasexplosionen oder Umweltkatastrophen wie Wirbelstürme, Erdbeben oder Überschwemmungen lösen bei Kindern vielfach ängstigende Reaktionen aus. Diese Art von Gewalt wird zumeist in Nachrichtensendungen gezeigt. Ihre Wirkung verstärkt sich, wenn die Kinder selbst schon mal ähnliches erlebt haben, wenn ein Unglück (zum Beispiel ein Autounfall) in ihrem eigenen Alltag stattfinden könnte und wenn Kinder (oder Menschen) als Opfer gezeigt werden.

Tier- und Naturfilme

Eltern wissen, dass ihre Kinder Tiere gerne mögen und sich Tiere auch gerne anschauen. Mit gutem Gefühl schalten sie daher Tierfilme ein. Nicht selten bekommen Kinder aber während der Rezeption aus heiterem Himmel Angst und möchten den Film nicht weiter schauen. Meist lösen Szenen diese Reaktion aus, in denen ein großes Tier ein kleineres wehrloseres Tier fängt, wenn kleine Tiere in Gefahrensituationen kommen oder wenn Wildhüter Tiere abschießen.

Auch Spielfilme, bei denen Tiere die Hauptdarsteller sind (zum Beispiel Flipper, Lassie), können Kinder in hohem Maß ergreifen. Hier sind es vor allem Szenen der Bedrohung und Spannung, wenn etwa Lassie vom Feuer eines Waldbrandes eingeschlossen ist. Diese Form von Gewalt nehmen Kinder sehr intensiv wahr, weil sie mit den Tieren sehr stark mitleiden und weil sie sich selbst als ‚klein und wehrlos‘ erleben. Dieses Gefühl wird dann noch verstärkt, wenn selbst die eigentlich starke Lassie eine knifflige Situation nicht bewältigen kann.

Pädagogisch wertvolle Kinderfilme

Dieser Aspekt wird Sie vielleicht am meisten überraschen. Viele Eltern meinen, dass Jungen und Mädchen Kinderfilme ‚gefahrlos‘ ansehen können. Aber gerade diese Filme behandeln Themen, die an die individuellen Interessen, Wünsche oder Ängste der Kinder anknüpfen. Sie können letztere auslösen oder aufdecken. Kinderfilme können aber nicht nur Ängste auslösen, sie decken auch manchmal auf, was das Kind ohnehin innerlich beschäftigt. Aus den zahlreichen Beispielen, die von ‚Der Sendung mit der Maus‘ bis hin zu ‚Jim Knopf‘ reichen, möchte ich nur eines kurz erzählen:
Eine Mutter beschreibt ein persönliches Erlebnis mit ihrem Sohn, der sich ein ‚Heidi‘-Video ansah. Als Heidi aus der Idylle mit ihrem Großvater gerissen wird und in Frankfurt bei der hartherzigen Erzieherin leben muss, wollte ihr Sohn den Film nicht mehr weitersehen. Die Mutter musste die Videokassette sogar in den Keller bringen, damit der er Ruhe gab und noch lange Zeit später musste sie diesen Filmteil vorspulen. Erst als das Kind die angstbesetzten Thema ‚Trennung von den Eltern‘ und ‚Allein sein‘ erfolgreich verarbeitet hatte, konnte es sich dem Medieninhalt wieder nähern.

Walt Disney Filme

Ebenso problematisch nehmen viele Kinder auch Walt Disney Filme wahr. Diese erzählen zumeist symbolisch verdichtete Entwicklungsgeschichten aus der Sicht der Kleinen mit viel Dramatik und Spannung. So zum Beispiel beim ‚König der Löwen‘. In dieser Geschichte soll Simba der kleine Löwe das Reich seines Vaters übernehmen, als dieser von seinem Bruder getötet wird. Viele Kinder reagieren an der Stelle sehr emotional und ängstlich. Hier wirken sowohl die dramatischen Bilder als auch das angesprochene Thema des Elternverlusts. Lösen Filme bei den Kinder Ängste aus brauchen sie besonders die Sicherheit und Geborgenheit ihrer Eltern.

Kinderzeichnung (c) Privat

Darstellung von Gewalt

Natürlich können auch Gewaltdarstellungen Kinder verunsichern. In einer empirischen Untersuchung habe ich Kinder zu der Frage zeichnen lassen, was ihnen im Fernsehen Angst gemacht hat. Der sechsjährige Tobi malte das Bild und erklärte es im anschließenden Gespräch. Auf dem Bild sind ein Kriegsschiff, ein Tyrannosaurus und ein amerikanisches Kriegsflugzeug dar-gestellt. Der Dinosaurier ist in die rechte untere Ecke gedrängt und hat seine Vorderläufe/Arme nach oben erhoben. Als sich Tobi an den Film ‚Jurassic-Park‘ erinnert, hebt er insbesondere die Bedrohung eines Menschen hervor, der beinahe durch den Tyrannosaurus aufgefressen wird.

Tobis Angstgefühl entsteht im Wesentlichen durch die Bedrohung der Menschen in dem Film, die sich laut Tobi alle versteckt halten. Schließlich besiegt das Flugzeug den Dinosaurier. Tobi stellt also in seiner Zeichnung durch das Besiegen der Dinosaurier das her, was der Film nicht leistet. Tobi muss sich gegen die übermächtigen Bilder wehren. Bedenkt man, dass Tobi erst sechs Jahre alt ist und der Film eine Altersfreigaben von zwölf Jahren hat, so wird schnell deutlich, dass er diesen Film besser nicht hätte sehen sollen.

Zeichentrickgewalt mit Witz

Zeichentrickfilme gehören bei Kindern zu den beliebtesten Fernsehangeboten. Dass gerade dieses Fernsehgenre, was aufgrund seiner Machart besonders geeignet für Kinder erscheint, Gewalt beinhaltet, ist immer wieder Anlass für Diskussionen. In Frage gestellt werden die brutalen Gewalttätigkeiten bei ‚Tom & Jerry‘, den ‚Ninja Turtles‘ oder den Pokemons. Einige Experten befürchten das die witzig verpackte Gewalt negative Auswirkungen haben könnte.
Eine Studie zu diesem Thema zeigte tatsächlich, dass einige Grundschüler und hierunter besonders die jüngeren nicht in der Lage waren eindeutig zwischen Realität und Fiktion zu differenzieren. Sie erkannten trotz des offensichtlich wirklichkeitsfremden Charakters von Zeichentrick nicht, dass es sich bei ihren Lieblingssendungen um reine Fiktion handelt. Ihrer Ansicht nach sind die Fernsehfiguren reale Wesen wie sie selbst, leben ihr eigenes Leben und haben eigene Empfindungen und Gefühle. Kinder mit diesem Defizit nehmen folglich an, dass die präsentierte Gewalt echt sei. Sie setzen die fiktive Gewalt mit realer gleich und ziehen den – so gesehen – logischen Schluss, dass die TV-Protagonisten sich bei den Gewalthandlungen richtig weh tun.

„Eltern sollten ihre Kinder bei der Verarbeitung von Filmen unterstützen.“

Kinder verarbeiten alle Eindrücke – also nicht nur die des Fernsehens – auf ihre ganz eigene Art und Weise. Meistens sind es aktive, eigenwillige und phantasievolle Formen der Auseinandersetzung. Bereits erwähnt habe ich, dass beispielsweise das Video ‚Heidi’ symbolisch in den Keller gebracht werden musste. Vorschulkinder suchen sehr oft nach symbolischen Lösungen für ihre Gefühle und Ängste. Dazu gehören auch Rollenspiele oder Zeichnungen, in denen Kinder das gute Ende eines Films herbeiführen.

Gerade in Anbetracht der vorgestellten Aspekte, wird deutlich, dass man Kinder nicht vor allen angstauslösenden oder angstaufdeckenden Fernsehszenen schützen kann. Eltern können aber ihre Kinder dort begleiten, wo sie merken, dass es die Inhalte nicht richtig verstanden hat. Das betrifft beispielsweise die Unterscheidung von Realität und Fiktion. Das Gespräch mit den Kindern zeigt meistens, wo Kinder noch orientierende Erklärungen brauchen.
Eltern sollten ihre Kinder auch bei der Verarbeitung von Filmen unterstützen. Manche erkennen nicht, dass das Rumgehampele beim Fernsehen schon dazu gehört. Kinder verarbeiten ihre Fernseherlebnisse in Rollenspielen, Zeichnungen und Phantasiespielen. Das sollten Eltern das auch deshalb nicht unterbinden, weil hierbei deutlich wird, mit was sich das Kind gerade innerlich auseinandersetzt.

Das könnte Sie auch interessieren: