Brokkoli mit Schokolade? Bitte nicht!

Brokkoli mit Schokolade
Foto: Balcom’s Blog; Montage: Clearingstelle Medienkompetenz

Pädagogische Tipps zu Computerspielen unterm Weihnachtsbaum

Können Computerspiele pädagogisch sinnvoll oder sogar wertvoll sein? Oder gilt das nur für sogenannte Serious Games, die einen mehr oder minder offensichtlichen Lerninhalt transportieren? Und sind die dann nicht wie „Brokkoli mit Schokolade“? Um diese und andere Fragen ging es im Online-Seminar „Computerspiele unterm Weihnachtsbaum“, das rechtzeitig zum Weihnachtseinkauf pädagogische Tipps für Eltern, Lehrer*innen und Medienpädagog*innen vermittelte.

Nach dem Warming-up, bei dem die 45 Teilnehmenden sich mit ihren Wunschreisezielen (ohne Corona) vorstellten, ging es weiter mit Begrüßungen durch die Online-Moderatorin Theresia Hansen sowie die Veranstalter. Als ersten thematischen Input stellte die freie Spieleentwicklerin Anne Sauer kurzweilig und mit vielen bildlichen Eindrücken neue (und alte) Trends im Computerspielmarkt vor. Denn pünktlich zum Weihnachtsgeschäft kommt nicht nur neue Hardware – beispielsweise in Form von neuen Konsolen-Modellen wie Xbox Series X und Playstation 5 – auf den Markt, die ein neues Filmerlebnis versprechen, das noch realistischer und noch immersiver sei.

Blockbuster und Independent-Games

Auch bei den Spielen ist für jeden Spielertyp etwas dabei: Wer eine „zauberhafte, tiefgründige Story“ mag, sei an das Spiel „Ori and the Will of the Wisps“ verwiesen; im Indie-Game „Lost Ember“ lässt sich nicht nur ein Wolf als Protagonist steuern – dieser Wolf ist auch noch Seelenwanderer und damit ist es möglich, als Eule über die Landschaft zu fliegen, während es Rätsel der Vergangenheit zu lösen gilt. Aber auch Klassiker wie Baldur’s Gate oder Tony Hawk sind in neu aufgelegter Version erhältlich. Weiterhin gibt es natürlich auch Party- und Familienspiele wie „Just Dance“, das regelmäßig am medienpädagogischen Spieleabend des Zertifikatskurses Medienpädagogische Praxis #mepps zum Einsatz kommt, oder „Overcooked II“, bei dem es darum geht, gemeinsam mit dem eigenen Team Essen in vorgegebener Zeit zuzubereiten.

Screenshot des Spiels Baldur's Gate
Baldur’s Gate (larian.com)

Kurzum: Die Bandbreite an Spielen ist riesig. Für alle Altersgruppen und Interessen ist auf dem Spielemarkt etwas dabei. Dabei deutete Anne Sauer in ihrem Vortrag durchaus auch pädagogische Bezüge an: Action- und Rollenspiele haben bisweilen einen Discovery-Modus, der eine Verknüpfung z. B. zu geschichtlichen Lerninhalten ermöglicht. Und wer ein Spiel durchspielt, dass nach dem Prinzip „easy to learn, hard to master“ programmiert ist, erweitert sicherlich auch seine Frustrationstoleranz.

„Das ist dann wie Brokkoli mit Schokolade“

Doch wie sieht es mit der pädagogischen Einschätzung zu Computerspielen überhaupt aus? Daniel Heinz, Fachbereichsleiter Gaming bei der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW gab im nächsten thematischen Input pädagogische und praktische Tipps zum Weihnachtseinkauf. Das A und O bei der Entscheidung für ein Spiel sei aus seiner Sicht, sich vorher zu informieren. Viele Angebote bieten hier Hilfestellung, so zum Beispiel der Spieleratgeber NRW oder spielbar.de, ein Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung, um zwei davon zu nennen. Auch Broschüren wie „Digitale Spiele – pädagogisch beurteilt“ können die Orientierung auf dem Spielemarkt erleichtern.

Weiterhin helfen die Alterskennzeichen der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle)dabei, keine Spiele auszuwählen, die Kinder negativ beeinträchtigen können. Eine entsprechende Kennzeichnung sagt aber nichts darüber aus, ob ein Spiel für ein Kind geeignet oder ob es gar pädagogisch sinnvoll ist. An dieser Stelle gehen Eltern und (Medien-)PädagogInnen besser sogar noch einen Schritt weiter. Sie sollten sich die Frage stellen, welche Qualität und welchen Mehrwert das Spiel hat. Allerdings warnt Daniel Heinz gleichzeitig davor, diese Frage zu stark zu gewichten. Denn nur weil ein Kind gerne Fortnite spielt, muss es noch lange nicht das Mathe-Lernspiel mögen. „Das ist dann wie Brokkoli in Schokoladensoße“, so sein Bild dafür.

Gemeinsam Regeln aufstellen

Vor allem ist es sinnvoll, zur jeweiligen Familie passende Regeln zur Mediennutzung aufzustellen. Bei der Einrichtung neuer Geräte, die zwingend von den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten vorgenommen werden sollte, lassen sich feste Medienzeiten oder flexiblere Medienzeitbudgets einstellen. Diese Einstellungen vorzunehmen sei „kein Hexenwerk, man muss es nur tun“, so Heinz. Auch auf möglicherweise zusätzlich anfallende Kosten sollten Eltern ein Auge habe. Dies umso mehr, als immer mehr Spielehersteller von Kauf- auf Abo-Modelle umstellen; die Folgekosten können erheblich sein.

Daniel Heinz plädiert außerdem dafür, sich dafür zu interessieren, was das Kind spielt, und sich bei der Spielauswahl an den Interessen und den Bedürfnissen des Kindes zu orientieren. Auch „mal mitzuspielen“, kann der Türöffner für aufschlussreiche Gespräche mit dem Nachwuchs sein. Allerdings bitte nicht immer: Im Angebot Eltern-Lan der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ist es möglich, gemeinsam mit anderen Eltern und pädagogischen Fachkräften eigene Computerspielerfahrungen zu sammeln und in einen Austausch über Inhalte und Wirkungen virtueller Spielwelten sowie die pädagogische Beurteilung von Spielverhalten einzutreten. Im Idealfall lässt sich so eine eigene klare Haltung zum Thema Computerspiele in der Familie entwickeln.

Welche Spiele sind sinnvoll?

Für die Auswahl von geeigneten Spielen empfahl Heinz unter anderem den Elternratgeber Computerspiele von klicksafe, aber auch einen Blick auf preiswürdige Software, wie sie mit dem Deutschen Computerspielepreis oder dem Tommi, dem deutschen Kindersoftwarepreis, ausgezeichnet wird.

Beide ReferentInnen betonten in einer abschließenden Fragerunde, dass Computerspiele einen Wert als Freizeitgestaltung hätten. Schon Friedrich Schiller betonte in seinen Briefen zur Ästhetischen Erziehung ja den Wert des zweckfreien Spiels für Menschen. Einen pädagogischen Mehrwert haben Spiele aber nicht aus sich heraus. Spätestens beim Thema Gewalt im Spiel werde deutlich, dass es einer pädagogischen Begleitung bedarf. Dazu wiederum ist es notwendig, sich mit den Games zu beschäftigen und mitzuspielen. Nur dann kann man auch mitreden, eine Haltung entwickeln – und im pädagogischen Alltag sinnvolle Kompromisse finden.

Through the darkest of times (Screenshot) Brokkoli mit Schokolade?
Through the darkest of times (Paintbucket.de; eigener Screenshot)

Pädagogisch und politisch wertvoll – aber Ladenhüter!? Das muss nicht sein.

Nach der Pause ging es konkret darum, ob es Spiele gibt, die pädagogisch und politisch wertvoll, aber keine Ladenhüter sind? Und darüber hinaus vielleicht sogar von Kindern und Jugendlichen gerne gespielt werden? Thorsten Gonska von der Akademie Klausenhof hat darauf eine klare Antwort: Das Spiel Through the Darkest of Times, ein historisches Strategiespiel über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus während des Dritten Reichs in Berlin, schlägt für ihn genau diesen Bogen. Der Gewinner des Deutschen Computerspielpreises 2020 in der Kategorie Serious Games ist für ihn in erster Linie ein gutes Computerspiel, das auch zu pädagogischen Zwecken eingesetzt werden kann. Aus diesem Grund entwickelt die Akademie auch gemeinsam mit den Spieleentwicklern pädagogisches Begleitmaterial zu diesem Spiel.

Auch Benjamin Rostalski, Projektleiter und Referent der Geschäftsführung in der Stiftung Digitale Spielekultur gGmbH sieht Games als Kulturgut – manche Spiele sind für ihn sogar Kunstwerke. Auf jeden Fall haben viele von ihnen ein großes Potenzial, auch in Bildungskontexten eingesetzt zu werden. Die Stiftung Digitale Spielekultur listet daher genau solche Spiele auf ihrer Seite auf. Wer also nun auf der Suche nach Computerspielen ist, die man guten Gewissens unter den Weihnachtsbaum legen kann, kann dort fündig werden.

Übrigens: Nicht nur Kinder freuen sich über ein Computerspiel zu Weihnachten. Auch viele Erwachsene spielen gerne, wie Benjamin Rostalski betonte. Der durchschnittliche Gamer sei Mitte 30, und die Gruppe der „Silver Gamer“ wachse stetig. Ob nun alt oder jung, analog oder digital, gemeinsam zu spielen und dabei zu lachen kann eine wundervolle Erfahrung sein – nicht nur, aber eben auch an Weihnachten.

Tipps und Links zum Thema

ARTE Tracks: Daddeln mit Mehrwert – das Spiel Through the darkest of times

Through the darkest of times (Paintbucket.de)

Escape Game der Akademie Klausenhof

Digitale Spiele mit pädagogischem Potential

Elternratgeber Computerspiele (Stiftung Digitale Spielekultur in Kooperation mit der USK)

Digitale Spielewelten, ein gemeinsames Projekt von Spielraum, der TH Köln und der Stiftung Digitale Spielekultur. Das Angebot wird unterstützt vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und dem game – Verband der deutschen Games-Branche.

Preisträger des Deutschen Computerspielpreises

Vortragsfolien von Anne Sauer: Was wird der Renner im Weihnachtsgeschäft?

Vortragsfolien von Daniel Heinz: Pädagogische Tipps zu Games (nicht nur zu Weihnachten)

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