Unter dem Motto „Zwischen Utopie und Dystopie“ fragte das 36. Forum Kommunikationskultur nach medienpädagogischen Perspektiven für die digitale Gesellschaft. Das Jahrestreffen der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) fand vom 15. bis 17. November 2019 an der Hochschule München statt.
Zur Eröffnung skizzierten Prof. Dr. Angelika Beranek, Gastgeberin seitens der Hochschule München, und Sebastian Ring ihre Visionen unter dem Motto „Science vs. Fiction?“ Beranek griff zurück auf Märchen und Erzählungen, die uns Menschen immer schon die Möglichkeit gaben, Ideen von Zukunft, von möglichen Realitäten zu entwerfen. Insofern ist Science Fiction ebenso wie Science Vision nichts wirklich Neues. Mit Blick auf Dystopien, dass Maschinen uns irgendwann überholen und beherrschen könnten, betonte Sie den Unterschied zwischen Mensch und Maschine: Nur wir haben Leib und Seele, nur wir können wirkliche Kreativität und Intelligenz zeigen. Und dazu brauchen wir auch Geschichten! Sebastian Ring, Leiter des JFF – Institut für Medienpädagogik, München, wies angesichts aktueller Entwicklungen im Bereich Technik und Medien darauf hin, dass sich unser Verständnis von Interaktion und Kommunikation derart ändern wird, dass wir z.B. Software mit einkalkulieren müssen.
Science fiction: Utopie oder Dystopie?
Der Auftakt wurde ergänzt durch eine kurze Lesung sowie ein Gespräch mit den mit Science Fiction-Autor*innen Jens Lubbadeh und Theresa Hannig. Unter dem Titel „(Alb-)Traum Digitalisierung“ gaben sie kurze Einblicke in ihre aktuellen Werke. Das anschließende Gespräch mit Moderatorin und GMK-Vorstandsmitglied Kristin Narr, gab Einblicke in die persönlichen Fragen der beiden im Kontext der Digitalisierung. Während Lubbadeh zugab, dass digitale Abhängigkeit von Geräten wie Smartphones auch für ihn durchaus ein Problem darstelle, fragte Hannig nach der Wirkung von literarischen Dystopien: „Dank all der Dystopien in der Science-Fiction-Literatur sind wir mittlerweile abgestumpft gegen den realen Weltuntergang. Und deshalb ist es an der Zeit, dass die Utopien mehr Raum bekommen – und das machen junge Leute wie die Fridays for Future-Bewegung ja auch.“
Drei Pechakuchas rundeten den Einstieg in das Tagungsthema ab. Drei Beiträge beleuchteten mit diesem Format einzelne Aspekte des Narrativs Digitalisierung in jeweils 6:40 Minuten anhand von exakt 20 Folien: Björn Friedrich vom Studio im Netz (SIN), München, hinterfragte das Narrativ Netzpolitik und forderte eine starke Zivilgesellschaft, die die Entwicklung in ihrem Sinne steuern muss. Kerstin Heinemann vom JFF – Institut für Medienpädagogik, München, nahm das Narrativ Ethik und Religion zum Anlass für die Forderung, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen – gerade angesichts einer unübersichtlichen Postmoderne, der nicht mit Technik als Ersatz für Gott beizukommen ist. Prof. em. Dr. Franz Josef Röll von der Hochschule Darmstadt wies zum Narrativ Bildung darauf hin, dass die technischen Möglichkeiten noch immer nicht angemessen genutzt werden. Vielmehr hätte die Technisierung der Bildung zu einer Reaktivierung behavioristischer Prinzipien des Lernens geführt.
Der mittlerweile traditionelle Netzwerkabend fand diesmal in der Stadtbibliothek im Gasteig statt und begann mit einem Filmgespräch: Die Regisseurin Isabell Willinger stellte Ausschnitte Ihres Films „Hi AI – Liebesgeschichten aus der Zukunft“ vor, in dem Beziehungen zwischen einem Single aus USA und einer japanischen Familie und ihrem jeweiligen Roboter über einen längeren Zeitraum portraitiert werden.
Der zweite Programmunkt des Abends war die Feier zum 10-jährigen Bestehen der Initiative Keine Bildung ohne Medien und die Veröffentlichung des Manifests 2019 – Addendum aus diesem Anlass.
Workshops, Inputs und Fachgruppen-Treffen
Den Start in den Samstag lieferte Prof. Dr. Dr. Mathias Rath von der PH Ludwigsburg. Unter dem Titel „Digitalisierung als conditio humana heute – Ethische Perspektiven für das Leben in der mediatisierten Gesellschaft“ stellte er Digitalisierung und Mediatisierung als thematisch definierte Wandlungsprozesse vor, die Teil der menschlichen Kulturevolution sind. Der häufig beobachtbaren „Medienmoralisierung“ im Sinne einer Bewertung der aktuellen Entwicklung als defizitär, begegnete er entschieden: ein vormoderner Wesensanimismus und eine Moralisierung der Metaprozesse führe dazu, dass die jeweilige Gegenwart verabsolutiert und die Zukunft als Fehlentwicklung interpretiert werde. Die konkrete Frage, wie in medienpädagogischen Debatten mit solchen Vorbehalten umzugehen sei, beantwortet er mit der Gegenfrage „Wie soll man mit Dummheit umgehen?“
Wie üblich beim Forum Kommunikationskultur fanden im Verlauf des Tages 15 Workshops – und eine OER-Barcamp – statt. Diese dienen der Vertiefung des Tagungsthemas unter einzelnen Aspekten. Dazu werden die Workshops überwiegend von den verschiedenen Fachgruppen der GMK veranstaltet.
Den abschließenden Vortrag hielt Prof. Dr. Katharina Zweig, TU Kaiserslautern, die dazu den Titel ihres aktuellen Buches „Der Algorithmus hat kein Taktgefühl“ aufgriff. In launig-unterhaltsamer Form führte Sie in Grundzüge der Informatik ein und ließ die Teilnehmenden anhand mitgebrachten Materials spielerisch nachempfinden, dass Algorithmen nicht neutral, sondern immer mit ethischen Entscheidungen verknüpft sind. Dass dabei eine ethische Haltung eine Rolle spielt, liegt an uns!
Verleihung des Dieter-Baacke-Preises 2019
Traditionell wird am Samstagabend der Dieter-Baacke-Preis verliehen. In diesem Jahr jährte sich der Todestag des GMK-Gründers zum 20. Mal. Der Namensgeber des Preises war mit – rückblickend – sehr weitsichtigen Zitaten präsent, die zur Begrüßung über die Leinwand liefen. Außerdem gab es ein Video, in dem er selbst sein Konzept von Medienkompetenz erläutert. So gelang ein angemessener Bezug zum Namensgeber des Preises. Ausführliche Vorstellungen der durchweg beeindruckenden Projekte finden sich auf einer eigenen Website.
Der Sonntagvormittag startete mit einem starken Vortrag von Prof. Dr. Martin Geisler, Jena, zum Thema „Homo ludens vs. Homo oeconomicus – Digitales Spiel zwischen Kontrolle, Ökonomie und befreitem Agieren“. Unter anderem fragte er, ob die allgegenwärtige Gamification nicht Ausdruck der Ökonomisierung und eben nicht des zweckfreien Spielens sei. Letztlich ist Spiel für die Medienpädagogik ein wichtiges Instrument. Denn es gehört wesentlich zu einem gelingenden Menschsein dazu, bei dem wir anderen auf Augenhöhe begegnen und nicht bloß konsumieren.
Der letzte Programmpunkt war nochmal dem Manifest 2019 – Addendum gewidmet: in mehreren Gruppen zu pädagogischen Handlungsfeldern konnten die Teilnehmenden die Inhalte des Manifests auf das jeweilige Feld hin diskutieren und mit Anregungen zur Weiterarbeit das Manifest operationalisieren. Sprecher und Lenkungsgruppe der Initiative KBoM äußerten sich anschließend sehr positiv zu den vielfältigen Anregungen.
Das 37. Forum Kommunikationskultur findet im kommenden Jahr vom 20. bis 22. November 2020 in Bielefeld statt.