ChatGPT, generative KI und Medienbildung – Teil 2
Wie steht es um die Medienbildung in Bezug auf KI und welche Beiträge sollte sie leisten zur laufenden Debatte um KI? Jüngst veröffentlichte das Institut für Demoskopie Allensbach die Ergebnisse einer Umfrage unter Deutschen, wie sie zu KI stehen. Im Ergebnis sind die Vorstellungen von KI eher diffus. Schon der Begriff wird aber – ebenso wie „ChatGPT“ oder „Algorithmen“ – als unsympathisch empfunden. Nur jede:r Fünfte hat eine klarere Vorstellung von der aktuellen technologischen Entwicklung. Dagegen äußert eine deutliche Mehrheit Angst vor Manipulation durch falsche Bilder, Texte oder Videos, vor Arbeitsplatzverlust und zunehmender Überwachung.
Diese offensichtliche Verunsicherung trifft laut des Instituts auch auf Angehörige höherer Bildungsschichten zu. Gleichzeitig empfinden vor allem Angehörige der älteren Generation ebenso wie sozial Schwächere keine Relevanz der KI für ihr persönliches Leben. Umgekehrt versprechen sich vor allem Angehörige schwächerer sozialer Schichten kaum Chancen durch die Weiterentwicklung von KI; dies ist eher eine Perspektive für höhere Schichten. Alle Schichten eint, dass vor allem die Risiken thematisiert werden. Immerhin ein Drittel der Befragten befürchtet, dass KI zu einer Bedrohung für die Menschheit werden könne.
Damit ist zum einen offensichtlich, dass die fortschreitende Digitalisierung tatsächlich gesellschaftliche Spaltungen verstärkt. Zum anderen zeigt es auch, dass die bisherigen Bildungsanstrengungen nicht ausreichen, um für die gesellschaftlichen Transformationsprozesse angemessen aufgestellt zu sein. Denn zum einen braucht es Qualifikationen für neue Anforderungen, die sich aus der fortschreitenden Digitalisierung in Arbeitsmärkten ergeben. Zum anderen bedarf es auch eines qualifizierten Diskurses, wie künftig das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine gestaltet werden soll. Und der sollte nicht nur von wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Eliten geführt werden. Neben der Informatik ist damit wiederum auch die Medienpädagogik gefordert, die notwendigen Konsequenzen für den Bildungsbereich aus den aktuellen technischen Entwicklungen zu formulieren und – in bester Tradition – sich kritisch zu den vorherrschenden Narrativen zu verhalten.
Konsequenzen für die Medienpädagogik
Denn ein Entwicklungs- oder Nutzungsverbot für KI ist ebenso unrealistisch wie ein weltweites Moratorium. Daher braucht es neben einem breiten gesellschaftlichen Diskurs und vorausschauender politischer Regulierung massive Bildungsanstrengungen, um eine weitere soziale Spaltung in Gewinner und Verlierer der Entwicklung zu verhindern. Was das im Einzelnen bedeutet, soll – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aus einem Modell von Medienkompetenz abgeleitet werden, das seinerseits versucht, eine Vielzahl von Modellen und begrifflichen Konzepten zur Medienkompetenz in einer Art kleinstem gemeinsamen Nenner abzubilden. Dabei ist wie bei allen (Medien-)Kompetenzmodellen klar, dass die Unterscheidung der einzelnen Teilbereiche eher analytisch ist und nicht völlig trennscharf erfolgen kann.
Was bedeutet Wahrnehmungsförderung mit Blick auf KI?
Zunächst einmal scheint KI unsere sinnliche Wahrnehmung herauszufordern. Ist das, was wir da sehen oder hören, „echt“ im Sinne eines von Menschen geschaffenen Werks? Die Frage nach der Urheberschaft eines medialen Produkts, eines Textes, Bildes, Videos oder Musikstücks, wird derzeit in vielen Beiträgen als zentral angesehen. Denn mit absehbaren Verbesserungen generativer KI wird es zunehmend schwieriger bis unmöglich sein zu entscheiden, ob ein Medium von Menschen oder von einer KI gestaltet wurde. Noch lassen sich bei manchen Ergebnissen von Bildern generierenden KI wie Stable Diffusion oder Midjourney Fehler und Unschärfen erkennen. Dies wird aber mit Verbesserung der Algorithmen und mehr Trainingsdaten – zu denen Nutzer:innen beständig beitragen – anders werden. Passend dazu hat OpenAI in der vergangenen Woche seine Software AI Classifier zur Erkennung KI-generierter Texte vom Markt genommen, weil sie zu viele KI-Produkte nicht erkannt hat. Gerade mal bei einem Viertel der Texte lag sie richtig.
KI als Gegenstand von und Einflussfaktor auf Wahrnehmung
So wichtig diese kritische Beurteilung medialer Produkte bleibt – sie gehört eher auf die Ebene der kritischen Kompetenz. Vor der Reflexion über die mögliche Täuschung der subjektiven Wahrnehmung muss ja überhaupt erst eine bewusste Rezeption der Phänomene stehen. Was gibt es da alles? Was wird eigentlich genau entwickelt – diesseits der vielen Hype-Aussagen? Inwiefern verändern sich in einer Kultur der Digitalität, in der generative KI eine größere Rolle spielt als bisher, die ästhetischen Formate und Ausdrucksformen? Was „macht“ die KI mit unserer Wahrnehmung medialer Phänomene, wie beeinflusst und verändert sie diese? Inwiefern ist mein persönlicher Alltag in Beruf, Ausbildung und Freizeit bereits von KI bereits geprägt? Und was muss ich dazu wissen, um das verstehen und beurteilen zu können?
Auf einer zweiten, abstrakten Ebene bedeutet das dann auch, die unterschiedlichen Diskurse, die zu KI geführt werden (vgl. Gapski 2021), wahrzunehmen und differenzieren zu können. Denn ob ich KI vor allem als technologisches, ökonomisches, rechtliches, ethisches oder pädagogisches Thema – um nur einige zu nennen – sehe, führt zu durchaus unterschiedlichen Aussagen und Bewertungen.
Medienbildung braucht Wissen und Erfahrungen
Eine zumindest grundlegende Orientierung über die verschiedenen Diskurse ist zweifelsfrei auch auf den Erwerb von „Struktur- und Orientierungswissen“ (Schorb) gerichtet. Das bedeutet zunächst einmal eine tatsächliche Kenntnis generativer KI, entsprechender Software, ihrer Bedienlogik, effizienter Prompts und anderer Details. Ich muss mich z. B. informieren, um (offensichtlich intentionale) Werbeaussagen über die fantastische Leistungsfähigkeit von KI, die in ökonomischer Betrachtung relevant sein mögen, mit kritischer Analyse der Technologie in entsprechenden Debatten abgleichen zu können. Denn ein zumindest rudimentäres Verständnis der informatischen Grundlagen zu Algorithmen und Big Data, zur Mustererkennung und Entscheidungsfindung ist unabdingbar, um Möglichkeiten und Grenzen generativer KI beurteilen zu können.
Damit ist auch schon ausgesagt, dass solches Hintergrund-Wissen nicht um seiner selbst willen angehäuft wird, sondern um Urteilsfähigkeit zu erlangen, die ihrerseits eine Positionierung und Fundierung benötigt.
Kritische Medienbildung auf drei Ebenen
Der Begriff Kritik ist zunächst einmal nicht im landläufigen Sinne zu verstehen, sondern im Sinne des griechischen Wortursprungs krinein (unterscheiden). Denn es geht zuerst um das Auseinanderhalten einzelner Phänomene im Gesamt der umgebenden Welt von Sinneseindrücken. „Die vermeintliche Einheit ist bei unterscheidender Betrachtung tatsächlich eine Vielheit, so wie eine Schulklasse zwar eine Gruppe ist, die aber aus vielen Individuen besteht.“ (Büsch 2017, 75) Denn die differenzierte Wahrnehmung in Verbindung mit einem sich weiter entwickelnden Wissen ist eine wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Beurteilung von Phänomenen. Es gibt eben nicht „die KI“, sondern unterschiedlich weit entwickelte Modelle und daraus abgeleitete Anwendungsmöglichkeiten, die für unterschiedliche Einsatzzwecke nutzbar sind.
Auf einer zweiten Ebene geht es sehr wohl um eine kritische Haltung zu Medien und medialen Produkten: „Lesende müssen sich bei jeder Lektüre der Möglichkeit bewusst sein, mit Texten aus „Maschinenhand“ konfrontiert zu sein. Medienkritik ist in diesem Kontext wichtiger denn je.“ (Holwarth 2023)
Narrative hinterfragen
Schließlich geht es auf einer dritten Ebene darum, das Wissen über die Technik, ihre Möglichkeiten und Grenzen, auf dahinter stehende gesellschaftliche Entwicklungen zu transzendieren: „Ein Kritikalitätsbewusstsein [so die Enquete-Kommission KI 2020] im Hinblick auf die sozialen Folgen des Einsatzes von KI-Systemen entsteht weniger durch tiefes technisches Detailwissen, sondern durch die Fähigkeit, relevante Fragen zu den Hintergründen, sozialen Auswirkungen und Risiken des Einsatzes zu stellen und Antworten zu einer informierten Haltung zu bündeln.“ (Gapski 2021)
Zur kritischen Medienbildung gehört dann auch, den Hype um KI zu hinterfragen und sich z. B. bewusst zu machen, wieviel unterbezahlte Arbeit Clickworker leisten, um Trainingsdaten von unerwünschten und zum Teil hochproblematischen Inhalten zu befreien. Und es gilt nochmals, die vermeintlichen Verheißungen der Technik, ihren tatsächlichen Nutzen und die Motive der Akteure abzugleichen. Denn kein Algorithmus ist wirklich neutral und außerhalb der Open-Source-Community ist immer ein Geschäftsmodell im Spiel. Und das will in der Regel Daten und Modelle generieren, um Nutzer:innen noch zielgerichteter mit Werbung versorgen zu können.
Auf diese Ebene gehört eine kritische Reflexion über Bildungsdiskurse. KI ist nicht die Lösung aller Probleme im Bildungssektor und auch hinsichtlich des personalisierten Lernens sind Zweifel angebracht (vgl. Gapski 2021). Eine ausführliche Kritik der dahinter stehenden Versuche, Bildung mit learning analytics zu optimieren, würde allerdings den Rahmen dieses Beitrags zu Medienbildung und KI sprengen.
Nicht zuletzt geht es auch um die rechtlichen und ethischen Fragen zur Regulierung der KI. Denn sie hängen letztlich mit der Frage nach dem künftigen Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen zusammen. Oder anders formuliert mit der Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und sollen.
Ethische Fragen
Solche ethischen Fragen gehören zwingend zur Medienbildung. Denn KI fordert Menschen heraus, sich im Verhältnis zu Maschinen neu zu denken: „Gerade angesichts der Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz wird die Frage nach dem Wesen des Menschen im Kontrast zu Maschinen besonders deutlich: Ist er/sie wirklich noch Subjekt oder doch schon Objekt der Digitalisierung? Was macht wirkliche Intelligenz und Kreativität aus? Sind nicht Personalität und Selbst-Bewusstsein die bleibenden Unterschiede zwischen Mensch und Maschine?“ (DBK 2020)
Es geht also wesentlich darum, eine angemessene Haltung zu den laufenden Transformationsprozessen zu entwickeln. Dabei kann es nicht darum gehen, sich immer weiter der Logik der digitalen Technik zu unterwerfen, sondern im Gegenteil die Maschinen als das zu sehen, was sie sind: Werkzeuge, die es klug und verantwortlich zu nutzen gilt.
Entgegen dem Leitbild des Transhumanismus, das Technik als Mittel zur Vervollkommnung eines unperfekten Menschen sieht, gilt es die konkrete Leiblichkeit (Fuchs 2020) und Vulnerabilität des Menschen als Quellen seiner Würde zu betonen. „Leitwerte der Digitalisierung müssen daher sein: Menschenwürde, Freiheit und Verantwortung. Diese Leitwerte und die Katholische Soziallehre (Personalität, Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip, Gemeinwohlprinzip, Nachhaltigkeit) sind mehr als Humanismus: Sie stehen für die radikale Transzendenz des Menschen – seine Gottesebenbildlichkeit und Würde. Für die politische Sicherung so verstandener Menschenwürde braucht es europa- und weltweite, multilaterale Kooperationen, die Rücksicht auf lokale Gegebenheiten nehmen (Subsidiaritätsprinzip).“ (DBK 2020)
Handlungsebene
Die zentrale Strategie der Medienpädagogik war und ist medienpraktische Projektarbeit, die an der Lebenswelt und den Alltagserfahrungen der beteiligten Subjekte ansetzt. Dementsprechend bedarf es auch neben Beiträgen zur Reflexion aus (medien-)pädagogischer Perspektive solcher Praxisprojekte für alle Alters- und Zielgruppen zur Nutzung von KI. Eine solche praktische Auseinandersetzung mit aktueller Technik wie KI soll und darf auch Spaß machen.
Allerdings darf es nicht beim fröhlichen Ausprobieren bleiben. Eine differenzierte Reflexion wünschenswerter und problematischer Anwendungsfälle muss im Vordergrund stehen. Ziel muss die Erlangung von Nutzungs- und Reflexionskompetenzen sein. Gerade durch letztere werden die Teilnehmenden befähigt, auch mit Unsicherheiten umgehen zu können, wie sie für laufende Transformationsprozesse typisch sind.
Denn angesichts der disruptiven Veränderungen durch KI stehen grundlegende Fragen unseres Zusammenlebens, unserer Werte und unserer demokratischen Grundordnung zur Diskussion. „Diese Fragen sind nicht wesentlich technische Fragen, müssen aber im Kontext digitaltechnologisch geprägter Lebenswelten mit datengetriebenen Regelkreisen und inhärenten Unbestimmtheiten beantwortet werden. Ihre Beantwortung greift weit über kompetenzorientierte Zugänge, wie etwa eine neu einzufordernde und abgegrenzte KI-Kompetenz, hinaus – es geht um Bildung in einem ganzheitlichen und transformatorischen Sinn … für eine digitale Aufklärung.“ (Gapski 2021) Dazu muss auch Medienbildung ihren Beitrag leisten.
Literatur
Büsch, Andreas (2017): Digital Natives and Digital Immigrants. Medienwelten und Medienkompetenz heutiger Schüler-, Lehrer- und Elterngenerationen. In: Fischer, Christian (Hrsg.), Pädagogischer Mehrwert? Digitale Medien in Schule und Unterricht (Münstersche Gespräche zur Pädagogik, Bd. 33). Münster: Waxmann, 59-84.
DBK 2020 = Publizistische Kommission der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) (2020): Digitalität und Künstliche Intelligenz: Technik im Dienst des Geist-begabten und Selbst-bewussten Menschen. Thesenpapier. URL: https://t1p.de/thesen2020
Fuchs, Thomas (2020): Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie (stw 2311). Berlin: Suhrkamp.
Gapski, Harald (2021): Künstliche Intelligenz (KI) und kritische Medienbildung. Reflexionen aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. URL: https://digid.jff.de/ki-expertisen/
Holwarth, Peter (2023): KI und Schreibprozesse an Schulen/Hochschulen. URL: https://www.medienpaedagogik-praxis.de
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