Medienpädagogische Trendtagung Digital 2020 tagte in Berlin
„Wir wollen hier in Berlin gemeinsam mit Expertinnen und Experten eine bildungspolitische und medienpolitische Standortbestimmung vornehmen und einen weiteren Baustein im aktuellen gesellschaftspolitischen Dialog zur Arbeit 4.0 liefern“, erläuterte Joachim Becker, Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, die Intention der Veranstalter in seiner Begrüßung. Das Thema „Arbeitswelt 4.0“ sei hoch aktuell, bereits heute präge die Digitalisierung die Arbeitswelt im erheblichen Umfang. Medienbildung stelle aus seiner Sicht eine Schlüsselkompetenz dar, ohne die ein Zurechtkommen im heutigen Berufsleben nicht mehr möglich sei. Trotz dieser Erkenntnis, gebe es aber vor Ort häufig ein Umsetzungs- bzw. Durchsetzungsproblem.
Ulrich Kelber, Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, richtete in seinem Beitrag das zentrale Augenmerk bei der Gestaltung der Arbeitswelt auf die digitalen Plattformen. Mehr und mehr soziale und geschäftliche Kontakte würden über solche Plattformen laufen. „Wer wissen will, was mit seinen Daten passiert, wenn er sie freigibt, braucht dazu die entsprechende Kompetenz. Diese Kompetenz, die auch Kenntnisse aus dem Bereich der Informatik mit umfasst, muss im schulischen Bereich und in der Ausbildung vermittelt werden.“ Dabei steht für Kelber fest: „Big-Data-Ökonomie darf nicht zu einem Verlust der Privatsphäre führen.“ Sonst sei der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet. Im Bereich der Wirtschaft werde „digitales Vertrauen“ der Verbraucher in dies Plattformen und ihre Produkte ein wichtiger Wert, der die Wirtschaft herausfordere. Dringenden Handlungsbedarf sieht er weiterhin beim Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.“ Die von seinem Ministerium gemeinsam mit Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter eingerichtete Task-Force habe schon erste positive Auswirkungen.
Bundestagsabgeordneter Özcan Mutlu – der aufgrund einer namentlichen Abstimmung im Bundestag an der Teilnahme zur Trendtagung verhindert war – teilte in einer schriftlichen Stellungnahme mit: Im deutschen Bildungssystem bestehe ein enormer Nachholbedarf, um Schüler/-innen angemessen auf die Arbeitswelt 4.0 vorzubereiten. Digitale Medienkompetenz müsse von früher Kindheit an lebenslang über formale und non-formale Bildungsangebote gefördert werden. Dafür müssten unbedingt die Ausbildungsordnung angepasst und die Berufsschulen ausgerüstet werden. In Zukunft seinen nicht nur fachspezifische Fähigkeiten gefragt, sondern auch ganzheitliches und vernetztes Denken. Eine Arbeitswelt 4.0 baue auf eine Bildungswelt 4.0 auf, deshalb sei ein grundlegender Schritt, das Bildungssystem auf das Lernen in der digitalen Welt ein- und umzustellen. Ohne Bildung 4.0 gibt es für Mutlu keine Arbeit 4.0 und keine Industrie 4.0.
Benjamin Mikfeld vom Bundesarbeitsministerium sieht die öffentliche Diskussion in den Medien über Arbeiten 4.0 kritisch. Hier sei keine Hysterie über den drohenden Wegfall von Arbeitsplätzen hilfreich, sondern ein intensiver Diskurs notwendig. Es gebe nicht die eine „Digitalisierung der Arbeitswelt“, sondern die Entwicklung müsse differenziert betrachtet werden. Es werde positive Effekte geben, es werde aber auch sicherlich Bereiche geben, die sich stark verändern. Bei den zukünftigen Bildungsangeboten müsse es auch um Employability gehen. Die Vermittlung von Beschäftigungsfähigkeit müsse ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung sein. Sein Vorschlag für den Umgang mit dem Thema: Es sollten gesprochen betriebliche Experimente in „betrieblichen Laboren“ zur Arbeit 4.0 ermöglicht werden, aus denen dann von Politik und Verwaltung nach erfolgter Auswertung Schlussfolgerungen gezogen werden können.
Die Position für die IG Metall zum Thema 4.0 vertrat Konrad Klingenburg, Leiter des Berliner Büros der IG Metall. Aus seiner Sicht werden die Veränderungen durch Industrie 4.0 und Digitalisierung in unterschiedlichen Betrieben in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität ablaufen. Ausbildung und Berufsbilder werden sich nicht gravierend ändern, aber eine Feinjustierung sei notwendig. Der Prozess der digitalen Transformation sei gestaltbar, Qualifizierung komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Handlungsbedarf sieht er bei der Weiterbildung: Lernen am Arbeitsplatz müsse zur Normalität werden. Digitale Medien könnten dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Defizite sieht er im Bereich Berufsschule 4.0: Hier müsse nicht nur die Infrastruktur verbessert werden, sondern auch die Lehrkräfte zusätzlich im Bereich Medienkompetenz ausgebildet werden.
Aus Sicht von Christian Sahl, Senior Manager Digitalisierung beim Bundesverband der Deutschen Industrie, werden bald 9 von 10 Jobs ein Mindestmaß an Digitalkompetenz erfordern. Ob dies ein Weniger oder auch ein Mehr an Arbeitsplätzen bedeute, ist aus seiner Sicht noch völlig offen. Ebenfalls sei es schwer vorauszusehen, welche konkreten Fähigkeiten und Kenntnissse zukünftig erforderlich seien. Essentiell ist aus seiner Sicht, dass in allen Bildungsbereichen das notwendige Rüstzeug für den digitalen Lebens und Arbeitsalltag bestmöglich vermittelt und erlernt wird. Digitale Technologien und Anwendungen können zudem das „lebenslange Lernen“ des Einzelnen erleichtern und die Möglichkeiten des nicht-formalen und informellen Lernens fördern.
Prof. Dr. Dorothee Meister, Vorsitzende der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) hat eine klare Forderung: Medienbildung muss in der Bildungskette fest verankert werden, da sie bloß als „Querschnitts-Aufgabe“ nicht ausreicht. Kein Jugendlicher sollte die Schule ohne grundlegende Medienbildung verlassen. Dazu bedürfe es an Schulen eines eigenständigen Lehrbereichs, in dem die grundlegenden Konzepte und Kompetenzen für die Orientierung in der digitalen vernetzten Welt ermöglicht werden sowie die Einbindung der Medienbildung in allen Fächern. Dabei sollte sich Medienbildung folgenden Schlüsselfunktionen und Aufgabenfeldern widmen: Sie soll Abstraktheit und Komplexität in Anschaulichkeit übersetzen, um digitale Infrastrukturen zu durchschauen und demokratisch mitzugestalten, sie soll Meinungsvielfalt einfordern, die digitale Selbstbestimmung fördern und produktive und gesellschaftlich wünschenswerte Nutzungsformen ermöglichen. Die Begleitung durch Expert/-innen sei dabei unerlässlich; Medienpädagogik und Informatik gingen in der Umsetzung gemeinsam vor und ließen sich nicht gegeneinander ausspielen.
Anja Tempelhoff von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hält es für die Vorbereitung auf die Arbeitswelt 4.0 für notwendig, dass es neben der Vermittlung der Grundtechniken Lesen, Rechnen und Schreiben auch der Vermittlung von Medienkompetenz sowie Programmierkenntnissen bedürfe. Ebenfalls notwendig seien die Fortbildungen der Lehrkräfte für das digital gesteuerte Unterrichten. Aus dem Land Berlin berichtete sie über die positiven Entwicklungen im Bildungsbereich, die mit dem 2005 eingerichteten „eEducation Berlin Masterplan“ erreicht werden konnten. Dieser Plan umfasst drei Säulen: 1. Die Fortbildung der Lehrkräfte für das digital gesteuerte Unterrichten; 2. Die Ausstattung der Schulen mit Hardware und 3. Die Förderung von Leitprojekten. Dieser Masterplan könnte auch bundesweit vorbildhaft sein und zum Einsatz kommen. Mit einem „Qualitätssiegel für die exzellente Digitale Schule“ sollen „Leuchtturmschulen“ ausgezeichnet und sichtbar werden.
„Mit unserer Trendtagung wollen wir als Bildungsträger einen Beitrag zum Diskurs über Arbeit 4.0 leisten. In allen Beiträgen ist deutlich geworden, dass die Vermittlung von Medienkompetenz – ergänzt um die Vermittlung von Programmierkenntnissen – Zukunftsaufgabe für das gesamte Bildungssystem sein wird. Mit unseren Kenntnissen und Erfahrungen in diesem Bereich werden wir uns in die bundesweite Diskussion über die Fragestellung einbringen, welche Form von Bildungsarbeit wir in Zukunft wollen und wie diese Vermittlung aussehen kann. Dabei sind wir aber auch gefordert darzustellen, welche inhaltlichen Ziele und welche Werte wir mit unseren Vorschlägen verfolgen wollen,“ resümierte Gunter Geiger, Direktor des Bonifatiushauses Fulda am Ende der Veranstaltung.
Prof. Andreas Büsch, Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz, zeigte sich ebenso erfreut über den qualifizierten fachlichen Austausch. Allerdings meinte er: „Zweifelsohne sind wir als kirchliche Träger gefordert, unser spezifisches Menschenbild und unser Verständnis von Medien in den gesellschaftlichen Diskurs um Digitalisierung einzubringen, wenn die Vertreter aus Politik und Wirtschaft keine Bildungsziele benennen können! Dass Kirche dazu durchaus auf der Höhe der Zeit mitdiskutieren kann, zeigt das vor zwei Wochen veröffentlichte Netzpolitische Papier, dessen Titel „Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit“ sehr wohl Perspektiven und Handlungsnotwendigkeiten benennt.“