In der Theorie wie in der Praxis der (kirchlichen) Medienpädagogik sieht es jedoch „uneigentlich“ ganz anders aus: Seit einigen Jahren wird immer wieder versucht, Medienbildung als einen bildungstheoretisch fundierten Gegenbegriff zum Konzept der Medienkompetenz zu etablieren. Und die Notwendigkeit einer Vermittlung von Medienkompetenz durch Sozialisationsprozesse und Bildungsmaßnahmen wird zwar allenthalben gefordert – aber in der gemeindlichen wie religionspädagogischen Lebenswirklichkeit bislang höchst selten realisiert, auch wenn sich dafür etliche Anknüpfungspunkte böten.
Kompetenz vs. Bildung?
Ohne hiermit der Verflachung notwendiger Diskurse Vorschub leisten zu wollen, möchte ich für eine Integration der Begrifflichkeiten plädieren, da die notwendigen Differenzierungen meines Erachtens quer dazu verlaufen:
- Geht es bei „Bildung“ bzw. „Kompetenz“ eher um Prozesse – ungeachtet deren näherer Beschreibung – oder um deren Ergebnis?
- Sind diese Prozesse eher vom Subjekt ausgehend selbst-bildnerisch bzw. selbstsozialisatorisch oder sind diese eher als planvolle Interaktion zwischen „Lehrenden“ und „Lernenden“ zu beschreiben?
- Geht es bei Medienkompetenz bzw. Medienbildung eher um einen Selbstzweck im Sinne einer immer weiteren und potenziell nie abgeschlossenen Entwicklung der Persönlichkeit oder geht es um gezielte Qualifikationen, gar um rein auf Berufsausübung bezogene „Maßnahmen“?
- Sind also letztlich Prozesse der Bildung bzw. des Kompetenzerwerbs an einem verwertbaren Ergebnis und damit quantifizierbaren Kosten-Nutzen-Rechnung („Outcome-Orientierung“) ausgerichtet oder dienen sie der Orientierung von Menschen in immer komplexeren Lebenswelten, die eben heute auch wesentlich Medienwelten sind?
Die Debatten der letzten Jahre lassen sich nur als immer weiter um sich greifende Ökonomisierung von Bildung verstehen – und gegen die muss Position bezogen werden, unabhängig von einer bildungs- oder kompetenztheoretischen Verortung der Medienpädagogik! Denn „nicht die Überwindung sozial defizitärer ökonomischer und gesellschaftlicher Zustände ist das Ziel bildungspolitischer Bemühungen, sondern gerade die Anpassung an gegebene ökonomische und gesellschaftliche Anforderungen erscheint hier als das Maß aller Dinge. In der öffentlichen Debatte um Bildung und erforderliche Kompetenzen ist die Gegenwart näher als die Zukunft, ein paradoxer Befund, dreht sich doch alles um lebenslanges und zukunftsbezogenes Lernen. Aber eben Lernen und nicht Bildung mit ihrem kritischen, auf Distanzierung und auf Widerspruch bezogenen Potenzial steht im Mittelpunkt gegenwärtiger Bildungspolitik und Kompetenzdebatten.“ (Grunert 2012,9)
Kompetenz durch Bildung!
Klar ist, dass der aktuell durch die OECD/PISA-Studien beflügelte Kompetenzbegriff eher begrenzt und unklar ist. Insofern wäre er in Bezug auf Bildung nur für ein enges Verständnis des Begriffs brauchbar, das vorrangig an (berufsbezogener) Qualifikation orientiert ist, und das gemäß o.g. Systematik als transitiv, intentional, material und i.e.S. funktional zu umschreiben wäre. Mit diesem reduzierten Begriff müsste jede Diskussion um die Ablösung des Bildungsbegriffs schnell erledigt sein. Insofern aber auch die Idee der gesellschaftlichen Partizipation mitgedacht wird, die bei Habermas konstitutiv für das Konzept kommunikativer Kompetenz ist (vgl. Baacke 1994, 327), ergeben sich weitergehende Anschlussmöglichkeiten.
Bildung und Kompetenz eint eine große (Be-)Deutungsvielfalt. Dabei ergeben sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Sowohl Bildung als auch Kompetenz sind grundsätzlich an das Individuum gebunden und bezeichnen seine Aktivität in Auseinandersetzung mit der – dinglichen wie sozialen – Umwelt und mit sich selbst (vgl. Grunert 2012, 63). Beide richten sich auf inhaltlich beschreibbare Wissensbestände und Fertigkeiten, also auf Wissen und Können und beide enthalten damit auch einen Handlungsbezug. Schließlich ist beiden eine Doppeldeutigkeit eigen, die sie einerseits als Voraussetzung bzw. Prozess und andererseits als dessen Ergebnis erscheinen lassen.
Der Kompetenzbegriff ist der deutlich jüngere, der zudem weniger statisch wirkt als der der Bildung (vgl. Grunert 2012, 73). Denn die Kompetenz wird durch die Performanz mitbestimmt, weil sich nur im Handeln, also in der Performanz, die Kompetenz zeigt.
Dafür läuft der Kompetenz-Begriff Gefahr, funktionalistisch verkürzt zu werden. Dagegen ist festzuhalten, dass einem weiteren – um nicht zu sagen: richtigen! – Verständnis von Kompetenz ebenso wie dem Bildungsbegriff das Moment der Reflexivität zukommt: „Als Person verantwortlich handeln heißt damit … sich nicht nur an geltenden Normen und gesichertem Wissen zu orientieren, also den Geltungsansprüchen der Richtigkeit und Wahrheit zu folgen, sondern auch wahrhaftig zu sein, so dass das Handeln gleichsam als Ausdruck der Innenwelt des Handelnden gelten kann und seine tatsächlichen Meinungen, Absichten und Gefühle widerspiegelt.“ (Grunert 2012, 65) Mit anderen Worten: ohne das Moment der Reflexivität wäre weder dem „Gebildeten“ noch der „Kompetenten“ ein ethisch abgestimmtes, verantwortliches Handeln möglich!
Ein deutlicher Vorteil des Kompetenz-Begriffs ist (zumindest bisher) das völlige Fehlen einer elitären Dimension: Im Gegensatz zum Ideal des Gebildeten, der sich von der (ungebildeten) Masse abhebt, ist die Idee der Kompetenz eher existenziell, denn ohne sie kann es keine wirkliche Partizipation im jeweiligen Handlungsfeld und letztlich in der Gesellschaft geben.
Allerdings bleibt eine gewisse Spannung auch im Kompetenz-Konzept: einerseits setzt sich das Kompetenzmodell gerade vom Defizitmodell ab und argumentiert mit den Möglichkeiten statt den noch fehlenden Fähigkeiten des Menschen. Andererseits sind jenseits schulischer Bildung die Kompetenzkataloge häufig unklar, womit die Gefahr gegeben ist, implizit doch wieder mit einem Defizit-Gedanken zu argumentieren. Einziger Unterschied ist, dass jetzt die Unterscheidungslinie entlang der Dichotomie kompetent – inkompetent bzw. granularer entlang verschiedener Kompetenzniveaus verläuft. Dies wird auch deutlich in der Debatte um den für die Frage nach dem Web 2.0 bzw. Social Web zentralen Begriff der Medienkompetenz.
Und die Praxis?
Einen Beitrag zur medienpädagogischen Grundbildung für MultiplikatorInnen in kirchlichen wie gesellschaftlichen Handlungsfeldern will der „Zertifikatskurs Medienpädagogische Praxis“ leisten. Diese acht Monate umfassende blended-learning-Veranstaltung, die unter Federführung der Clearingstelle Medienkompetenz entwickelt wurde und deren Präsenzphasen am KSI in Bad Honnef durchgeführt werden, will den Teilnehmenden in Theorie und Praxis ein umfassendes Verständnis von Medien und Medienpädagogik vermitteln. Dabei spielen selbstverständlich auch Themen wie Urheber- und Medienrecht, Handlungsempfehlungen für ausgewählte Problemfelder der digitalen Mediengesellschaft, Mediendidaktik und medienbezogenen Lernsettings, Apps, Games, Computer- und Konsolenspiele und vor allem Social Media in Theorie und Praxis eine Rolle.
Neben der Vermittlung entsprechender Wissensgegenstände und ausgedehnter praktischer Erprobung in unterschiedlichen Medienformaten sind mit Blick auf die jeweils eigene medienpädagogische Praxis der MultiplikatorInnen intensive Phasen der Reflexion vorgesehen, die der theologischen wie medienethischen Einordnung dienen. Denn letztlich dienen alle medialen Ausdrucks- und Kommunikationsprozesse der Verständigung von Menschen untereinander und der Aushandlung der für das individuelle wie gemeinschaftliche Leben relevanten Vereinbarungen und Entwicklungen.
Dies bildet den Hintergrund, wenn die Teilnehmenden in Praxisphasen eigene medienpädagogische Projekte durchführen und diese gegenseitig unter Begleitung durch kompetente ExpertInnen evaluieren. Auf die Operationalisierung der medienbezogenen Bildungsbemühungen in verschiedenen Handlungsfeldern sind die Träger des Kurses bereits jetzt gespannt! Denn der Kampagnen-Titel hat auch nach vier Jahren nichts von seiner Gültigkeit verloren: „Keine Bildung ohne Medien“!
Weiter Informationen zum Zertifikatskurs Medienpädagogische Praxis finden Sie hier
Prof. Andreas Büsch
Weiterführende Literatur:
Baacke, D. (1994): Kommunikation und Kompetenz. München: Juventa (1. Aufl. 1973).
Büsch, A. (2012): Bildung in Zeiten des Social Web. In: Horst Ziegler/Ralph Bergold (Hg.): Neue Vermessungen. Katholische Erwachsenenbildung heute im Spannungsfeld von Kirche und Gesellschaft (Festschrift 50 Jahre KEB Saarland). Merzig: Gollenstein, 275-303.
Büsch, A. (2006): Megatrends medialer Wissensvermittlung. Erwachsenenbildung und neue Medien. In: Frohnhofen, H.; Schewior-Popp, S. (Hg.): Bildung. (Schriftenreihe der KFH Mainz, 01). St. Ottilien: EOS-Verlag, 111-151.
Grunert, C. (2012): Bildung und Kompetenz. Theoretische und empirische Perspektiven auf außerschulische Handlungsfelder (Studien zur Schul- und Bildungsforschung, 44). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Marotzki, W.; Jörissen, B. (2008): Medienbildung. In: Sander, U. u.a. (Hrsg): Handbuch Medienpädagogik. Wiesbaden: VS 2008, 100-109.
Niesyto, H. u.a. (2009): Keine Bildung ohne Medien! Medienpädagogisches Manifest. URL: http://www.keine-bildung-ohne-medien.de
Spanhel, D. (2010): Mediale Bildungsräume. Ihre Erschließung und Gestaltung als Handlungsfeld der Medienpädagogik. In: Bauer u.a. (Hg.): Fokus Medienpädagogik. Aktuelle Forschungs- und Handlungsfelder. München: kopaed, 29-44.
Tulodziecki, G. (2010): Medienkompetenz und/oder Medienbildung? Ein Diskussionsbeitrag. In: merz 54 (2010) H. 3, 48-53.
[Edit 05.11.2021: defekte Links aktualisiert oder entfernt, Link zum Medienpäd. Manifest aktualisiert]