Liebe Leserinnen und Leser,
vor knapp zwei Wochen ging nicht weniger als eine Ära zu Ende. Thomas Gottschalk moderierte nach zwei „Zugaben“ im Jahresabstand ein letztes Mal das samstagabendliche Lagerfeuer für die Familie unter dem Titel „Wetten dass …?“. Beachtliche 45 % der Zuschauer:innen wollten dabei sein. Er verabschiedete sich u. a. mit der Begründung, dass er anfange, im Fernsehen anders zu reden als daheim, um keinen Shitstorm auszulösen. Außerdem wolle er nicht, dass man ihm erklären müsse, wer die Gäste auf „seiner Couch“ seien.
Letzteres ließe sich interpretieren als Eingeständnis eines „alten weißen Mannes“, langsam den Anschluss an die aktuelle Unterhaltungsbranche zu verlieren. Tatsächlich sind die meisten Stars wie Take That oder Cher durchaus schon länger im Geschäft. Und dass er mit dem Feminismus einer jüngeren Künstlerin wie Shirin David fremdelt, passt dann auch irgendwie ins Bild.
Andererseits ließe es sich auch verstehen als kluge Selbsterkenntnis eines mit 73 Jahren nicht mehr ganz jungen Entertainers, der seine Grenzen erkennt und lieber selbst seinen Abgang bestimmt. Und das verdient meines Erachtens Respekt. „Gonna walk, before they make me run“, sangen die Rolling Stones vor 45 Jahren (und die wollen 2024 mit Anfang 80 nochmal auf Tournee gehen – aber das ist eine andere Geschichte. Obwohl …)
Ob Gottschalk nun aus der Zeit gefallen ist oder nicht: Es ist offensichtlich ahistorisch und damit unsinnig, an lieb gewonnenen Formaten und Figuren festhalten zu wollen. Aber mit diesem Abschied, der konsequenterweise auch das Ende dieser Sendung bedeuten dürfte, steht die Frage im Raum, was denn tatsächlich noch Generationen- und Milieu-übergreifende Formate der Unterhaltung sein können. Nicht, weil eine möglichst hohe Quote schon ein Qualitätsmerkmal wäre, sondern vielmehr, weil sich darin doch auch ein Stück gesellschaftlichen Zusammenhalts ausdrückt. Oder war und ist das „elektronische Lagerfeuer“ mittlerweile auch nur ein abgegriffenes Narrativ aus vergangenen Zeiten?
Aber wo sind dann verbindende Orte, an denen Geschichten gelauscht und Stoff für den Austausch – und damit auch für die Verständigung – generiert wird? Angesichts von Streamingdiensten und Mediatheken, zunehmend mehr Kommunikations-Plattformen und -Anbietern, ist die Frage berechtigt. Denn zum einen führt das zu einer immer weiteren Ausdifferenzierung von Angeboten und damit zu einem Segregieren der diese nutzenden Prosumer. Zum anderen führt der Wettstreit der Anbieter zu – gelinde gesagt – fragwürdigen Strategien in der Aufmerksamkeitsökonomie, die gerade nicht zu Verständigung und gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen.
Vielleicht ist die große Samstagabend-Unterhaltung tatsächlich ein zunehmend obsoleter Teil der Geschichte. Eine neue Phase der Bewegtbildnutzung zeichnet sich ab, so ein Ergebnis der ARD/ZDF-Onlinestudie 2023. Ich denke, dass das mehr als nur ein Wechsel der Leitmedien ist und die Frage nach dem gesellschaftlichen Kitt mithin offen ist.
Mit den an dieser Stelle üblichen freundlichen Grüßen verbinde ich die besten Wünsche für Sie für eine gute – diesmal sehr kurze – Adventszeit und eine gesegnete Weihnacht! Gerne begleiten wir Sie auch in diesem Jahr mit vier adventlichen Grüßen aus unserem Team durch diese Zeit.
Erlauben Sie mir einen abschließenden Hinweis in eigener Sache: Die Clearingstelle Medienkompetenz verabschiedet sich in eine kurze Weihnachtspause vom 22.12.2023 bis 07.01.2024. Dementsprechend erscheint unser nächster Newsletter am 11.01.2024.
Herzliche Grüße
Prof. Andreas Büsch
Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz
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Die Reihe besteht aus acht Kurzfilmen, die sich mit dem Einsatz von Medien im Kleinkindalter befassen. Jedes Video hat einen Themenschwerpunkt mit Bezug zur Medienbildung und enthält Szenen aus Kitas und O-Töne von Pädagog:innen. Die Videos geben Denkanstöße aus verschiedenen Perspektiven und einen ersten Überblick zum Thema.
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Angesichts islamistischer Terroranschläge gilt es genau hinzuschauen und einer auch weitergehenden Radikalisierung auch in Deutschland vorzubeugen. Neben vielen Informationen zur Lebenswelt Jugendlicher zwischen Islam, Islamismus und Islamfeindlichkeit macht das Medienpaket deutlich, wie Extremist:innen an die Alltagsthemen Jugendlicher anknüpfen.
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