Clearingstelle Medienkompetenz: „Brückenfunktion“ und „Impulsgeber“
Markus Schuck hat den Vorsitzenden der Publizistischen Kommission, Bischof Dr. Gebhard Fürst (Rottenburg-Stuttgart), der für beide Papiere verantwortlich zeichnet, zu den Herausforderungen der Digitalisierung für den Bildungsbereich interviewt. Wir danken der AKSB für die Erlaubnis zur Übernahme dieses Interviews.
AKSB‑Inform: Das medienethische Impulspapier liegt nunmehr mehr als sechs Jahre zurück. Welche Bilanz ziehen Sie selbst nach nunmehr sechs Jahren? Haben die im Impulspapier 2011 vertretenen Positionen auch heute noch Bestand oder würden Sie einige Passagen umschreiben?
Bischof Dr. Fürst: Die im Impulspapier enthaltenen Anregungen und Empfehlungen haben nichts an Aktualität eingebüßt. Ich bin sehr froh, dass wir frühzeitig das Thema Digitalisierung in den Blick genommen haben. Wir wollten die Deutungshoheit über die mediale Entwicklung nicht nur anderen Gruppen überlassen, sondern uns aktiv in die medienpolitische Diskussion einbringen. Dazu haben wir eine Arbeitsgruppe mit namhaften Medienexperten eingerichtet, die im Auftrag der Publizistischen Kommission das Impulspapier „Virtualität und Inszenierung“ erarbeitet hat. Was ist die Kernbotschaft? Medienkompetenz ist die Schlüsselkompetenz in der digitalen Mediengesellschaft. Verbesserte Kenntnisse im Umgang mit den Medien und über die Folgen des Umgangs sind grundlegend für die mediale Interaktion. Schließlich sind die meisten Risiken, die wir damals benannt haben, heute stärker ausgeprägt denn je: Datenmissbrauch, Gewaltverherrlichung, Cybermobbing, digitale Sucht. Diese Gefahren sind zumindest auch verhaltensbasiert und lassen sich durch Angebotsverbote und Einschränkungen alleine nicht nachhaltig vermeiden.
AKSB‑Inform: Stellt das 2016 veröffentlichte Papier „Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit“, auch mit Blick auf das Impulspapier von 2011, eine Neuorientierung mit Blick auf die Digitalisierung dar?
Bischof Dr. Fürst: Nein, dieses Papier ist eine Fortschreibung zu aktuellen Entwicklungen aus christlicher Perspektive. Die Digitalisierung hat sich seit unserem letzten Impulspapier noch tiefgreifender auf die Gesellschaft ausgewirkt. Die Stichworte Big Data, Industrie 4.0, Internet der Dinge, Robotik und „Maschinen-Verantwortung“, aber auch Disruption usw. spielen hier eine Rolle. Wir beurteilen den digitalen Wandel nach den Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre. Unsere zentrale Forderung lautet daher: Die Würde, die Persönlichkeit und die Selbstbestimmung des Menschen müssen nicht zuletzt durch den Schutz seiner Daten bewahrt werden. Ziel muss es sein, die Personalität und die Sozialität des Menschen als Ebenbild Gottes bewusst zu erkennen, zu erhalten, zur Entfaltung zu bringen und bei Bedarf auch zu verteidigen. Menschenwürde und Freiheit geraten in Gefahr, wenn der Mensch nicht mehr über seine Daten bestimmen kann. Mir ist wichtig zu betonen: wir wollen hier nicht nur pessimistisch und kulturkritisch die negativen Auswirkungen beklagen. Natürlich bringt die Digitalisierung viele Chancen mit sich. Menschen erschließen sich neue Möglichkeiten, sich miteinander auszutauschen und die eigene Personalität zum Ausdruck zu bringen. Aber bei sozialer Kommunikation werden immer auch Daten erhoben, gespeichert und zum Teil kommerziell oder politisch genutzt. Wir brauchen dringend eine neue, veränderte Sensibilität für den Wert persönlicher Daten. Wichtig ist zudem ein zeitgemäßer Jugendmedienschutz. Daher setzen wir uns ein für taugliche Regelungen, die der Dynamik der Medienwelt Rechnung tragen. Hass und Verrohung der Kommunikation im Netz bedürfen wacher Aufmerksamkeit. Die in der analogen Welt geltenden rechtlichen, ethisch-moralischen und kulturellen Standards gelten auch für die digitale Welt.
AKSB‑Inform: Teilhabegerechtigkeit ist ebenfalls ein wichtiges Stichwort im Impulspapier 2016. Was ist damit gemeint?
Bischof Dr. Fürst: Hier geht es um die flächendeckende Verbreitung des Internets in allen Lebensbereichen und damit um die Möglichkeit einfacher, schneller und günstiger Kommunikation. Das führt dazu, dass ein Zugang zu den Möglichkeiten des Internets kein Luxusgut ist, sondern ein notwendiger Bestandteil des gesellschaftlichen Existenzminimums. Hier sagen wir in unserem Papier deutlich: Damit alle Menschen vom sozialen Wert des Netzes profitieren können, sind bei der Gestaltung technischer Systeme sowie bei netzpolitisch relevanter Gesetzgebung Inklusion und Barrierefreiheit von großer Bedeutung. Mehr direkte Beteiligung und größere Nachvollziehbarkeit, durch digitale Kommunikation gestützt, können zugleich neue Impulse und neues Leben in als erstarrt wahrgenommene politische Prozesse und Strukturen bringen.
AKSB‑Inform: In dem neuen Papier werden politische Positionen unter ethischen Vorzeichen angesprochen. Will die Publizistische Kommission damit stärker in den politischen Diskurs zum Thema „Digitalisierung“ einsteigen?
Bischof Dr. Fürst: Als Kirche haben wir uns immer schon eingebracht zu aktuellen Entwicklungen. Dazu gehört auch eine Positionierung zu den weitreichenden Folgen der Digitalisierung. Sie berühren alle Bereiche des politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und persönlichen Lebens. Wir beobachten Entwicklungen und Veränderungen, die durch den digitalen Wandel ausgelöst und beschleunigt werden. Nach unserem Verständnis ist es auch Aufgabe der Publizistischen Kommission, solche Prozesse aufzuzeigen und auf mögliche Konsequenzen für den Menschen und die Gesellschaft hinzuweisen. Aus dieser Perspektive ergeben sich zentrale Fragen: Was bedeuten die Entwicklungen für Öffentlichkeit und Gesellschaft? Welche Auswirkungen haben sie für unsere zukünftige Selbstwahrnehmung und unser Handeln? Wie beeinflussen die Umbrüche die gegenwärtigen und zukünftigen Vorstellungen der Menschen von einem sinnvollen Leben? Wir bearbeiten aktuelle Fragen der Digitalisierung fortlaufend. Wenn es angezeigt ist, gibt es Wortmeldungen zu aktuellen Problemen, so wie das in meiner Stellungnahme zur Problematik der Fake News getan habe. Der politische Diskurs wird aber nicht nur von der Kommission getragen. Das Thema Digitalisierung wird auf unterschiedlichen Ebenen zum Thema gemacht. Zu Gesetzesinitiativen gibt das Katholische Büro in Berlin Stellungnahmen ab. In den Rundfunkkontrollgremien sitzen Kirchenvertreter, die sich in die Diskussion, die auch diese Gremien führen, einbringen. Prof. Büsch, der Leiter der Clearingstelle Medien, hat z. B. das Impulspapier „Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit“ bei der re:publica 2017 vorgestellt. Ich sehe, dass die Kirche in vielfacher Weise angefragt wird.
AKSB‑Inform: Befindet sich die katholische Kirche bei der Vermittlung von Medienkompetenz in ihren Akademien und Bildungsstätten auf einem guten Weg? Welche Akzente sollten hier in Zukunft gesetzt werden?
Bischof Dr. Fürst: Um die medienpädagogischen Initiativen zu bündeln und zu profilieren, um Medienpädagogik auf die Straße und an die Menschen zu bringen hat sich die Deutsche Bischofskonferenz nach der Veröffentlichung des ersten Impulspapiers selbst in die Pflicht genommen. Sie hat eine zentrale Forderung erfüllt und die Clearingstelle Medienkompetenz unter der Leitung von Prof. Andreas Büsch an der katholischen Fachhochschule in Mainz eingerichtet. Wir haben ebenfalls sehr früh im Hinblick auf die sozialen Medien ein Muster für Social Media Guidelines formuliert, die auch außerkirchlich anerkannt sind. Mit dem Zertifikationskurs „Medienpädagogische Praxis“ machen wir Multiplikatoren für die medienpädagogische Bildungsarbeit mit Eltern, Kindern und Jugendlichen fit. Christlich verstandene Medienkompetenz ist Dienst am Menschen. Aus zahlreichen Rückmeldungen weiß ich: Viele unserer diözesanen Medienstellen und vor allem auch die katholischen-sozialen Bildungswerke sind in der Vermittlung von Medienkompetenz hoch engagiert. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich freue mich, dass auch die Zusammenarbeit mit der Clearingstelle Medienkompetenz so gut funktioniert. Medienkompetenz gehört zu den zentralen Herausforderungen der Bildungsarbeit. Die katholisch-sozialen Bildungsstätten als Multiplikatoren sollten den eingeschlagenen Weg in ihrer wichtigen Vermittlungsarbeit konsequent weitergehen.
AKSB‑Inform: Die AKSB arbeitet seit einigen intensiv und erfolgreich mit der Clearingstelle für Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz in ihrer Veranstaltungsreihe „Digital 2020“ zusammen, weitere Kooperationspartner sind das Bonifatiushaus in Fulda, die LPR Hessen ‑ Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien und das MUK Hessen ‑ Institut für Medienpädagogik und Kommunikation. Wie könnte aus Ihrer Sicht das Angebot der Clearingstelle zu digitalen Fragestellungen ausgeweitet und verstetigt werden, um so auch den Dialog zwischen der AKSB und der Deutschen Bischofskonferenz in diesem Themenbereich zu intensivieren?
Bischof Dr. Fürst: Die Clearingstelle Medienkompetenz hat eine Brückenfunktion und ist Impulsgeber. Sie kann nicht selbst Anbieter von allen wünschenswerten Angeboten sein. Sie ist darauf angewiesen, Kooperationen einzugehen und man kann sagen, dass ihre Bedeutung durch die Vielzahl der Anfragen gewachsen ist. Die Impulse, die von der Clearingstelle ausgehen, sollen im Idealfall von anderen Institutionen aufgegriffen und aktiv verfolgt werden. Hier sehe ich vor allem auch Aufgabe für die die katholisch-sozialen Bildungsstätten.
AKSB‑Inform: Welche Akzente sollte die AKSB im Themenfeld „Digitalisierung“ verstärkt setzen?
Bischof Dr. Fürst: Nach wie vor ungelöst ist die Frage, wie wir mit unseren Angeboten bildungsferne Schichten erreichen, die wir über unsere Medien und Veranstaltungsformate kaum ansprechen können. Gerade diese Schichten müssen aber in unserem Blick sein, da zunehmend versucht wird, über gezielte Desinformation diese Gruppen anzusprechen und für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Digitalisierung ist der Begriff für einen Prozess gesellschaftlichen Wandels, der weit über den Medienbereich hinausgeht und alle Bereiche betrifft, beispielsweise die Arbeitswelt, die Medizin, die Mobilität der Gesellschaft. Medienkompetenz kann hier nur ein Baustein sein in einer notwendigen allgemeinen Lebenskompetenz, Menschen zu befähigen, mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen.