Spannende Vorträge und Workshops zu Reality-TV-Formaten
Macht Fernsehen wirklich dumm? Lassen sich Jugendliche tatsächlich von Aussehen und Verhalten der Stars aus Berlin – Tag und Nacht oder anderen Scripted Reality Shows beeinflussen? Und was heißt das für all diejenigen, die beruflich oder privat mit Jugendlichen zu tun haben? Müssen sich LehrerInnen und PädagogInnen diese Formate wirklich anschauen, um authentische Ansprechpartner für Jugendliche zu sein?
Die Antwort auf die letzte Frage kann nur „ja“ lauten, will man die Faszination verstehen, die Scripted Reality auf Jugendliche ausübt. Hierfür müssen sich LehrerInnen und PädagogInnen zwar nicht die komplette Staffel der angesagten Formate kaufen. Aber nur darüber zu sprechen und Studien zu Scripted Reality zu lesen, eröffnet auch noch keinen ausreichenden lebensweltlichen Zugang zum Thema. Aber letzteres ist eine wichtige Voraussetzung, da aktuelle Studien statistische Aussagen zum Phänomen Scripted liefern können. Wer Reality-TV Shows schaut, welche (pseudo-)dokumentarischen Filmmethoden eingesetzt werden, um Authentizität zu vermitteln und inwiefern sich Jugendliche tatsächlich Protagonisten aus Familien im Brennpunkt oder Köln 50667 zum Vorbild nehmen – auf diese Fragen gibt die Medienwirkungsforschung als Schnittmenge der Medienpsychologie und -pädagogik Auskunft. Im Fokus der Tagung Alles scripted – oder was? standen deshalb sowohl theoretische, als auch erlebnisorientierte Inhalte.
Nach Begrüßung durch Christine Poulet, Leiterin der Stabsstelle Medienkompetenz des SWR, die auch die Tagungsnmoderation übernahm, und Grußworten von Mathias Stapf (SWR) sowie Thorsten Schambortski (ilf Mainz) folgten drei thematische Inputs. Einen Überblick über aktuelle Trends der Mediennutzung und –präferenzen von Jugendlichen gab Dr. Walter Klingler, SWR Medienforschung, der das Tagungsthema vor allem in den Kontext der Ergebnisse der aktuellen JIM-Studie einbettete. 2014 nannten immerhin 21% der befragten Jugendlichen eine Scripted Reality Show ihre Lieblingssendung, es handelt sich hierbei um das zweitbeliebteste Genre nach Sitcoms- und Comedy Shows.
Dass Reality-TV Shows tendenziell an Bedeutung zunehmen, lässt sich auch an rasanten Veränderungen im Format und der Vielzahl der Angebote ablesen. Warum Scripted sich von dem Prototyp der Gerichtshows zu den aktuellen Formaten wie beispielswiese X-Diaries weiterentwickelte erklärte Prof. Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF): „Mit Gerichtsshows fing alles an. Die Probleme damals: echte Fälle zu langweilig, Texte von Drehbuchautoren nicht authentisch genug. Es mussten Stereotypen aus dem ‚echten‘ Leben her!“.
Scripted bedient sich hierzu – der Studie Scripted Reality auf dem Prüfstand der FSF zufolge – der Methoden aus dem Bereich des Dokumentarfilms, die es dem Zuschauer erschweren sollen, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Gottberg schlussfolgerte, dass es bei Reality-TV-Formaten, sowie generell beim Fernsehkonsum darauf ankommt, Jugendliche dabei zu unterstützen eine kritische Haltung gegenüber dem Gesehenen zu entwickeln.
Wie Jugendliche dazu kommen und welche (Medien-)Kompetenzen sie dazu benötigen, beantwortete Prof. Andreas Büsch, indem er mahnte, dass das Phänomen Scripted nur dann verstanden werden kann, wenn es im Kontext der Lebenswelt der Jugendlichen erlebt und angesprochen wird. „Werden Lebenswelten Jugendlicher zum Thema, begibt man sich als Lehrerin oder Pädagoge zwar in ein Dilemma: Die Gefahr, Lebenswelten Jugendlicher interpretatorisch zu „befummeln“ ist hoch. Aber das Ziel einer Anleitung zur Reflexion auf die jeweiligen (Medien-)Phänomene muss gelten!“, so Büsch.
Wie dies authentisch passieren kann, zeigten anschließend fünf Workshops von Studierenden des medienpädagogischen Schwerpunktes der Katholischen Hochschule Mainz. Sie ermöglichten den Tagungsbesuchern die Perspektiven der Jugendlichen einzunehmen und eigene Erfahrungen mit Reality-TV Shows zu reflektieren. Die Teilnehmer konnten wählen, ob sie entweder zum Regisseur ihrer eigenen Daily-Soap werden, sich mit den Besonderheiten des Casting-Formates beschäftigen, sich über Lebenswelten Jugendlicher heute informieren oder sich konkrete Ideen zum methodischen Vorgehen beim Einsatz in der Arbeit mit Jugendlichen erarbeiten wollen.
Die hervorragenden Rückmeldungen der Teilnehmenden am Ende des Tages waren für die beteiligten Studierenden Lob für die geleistete Arbeit – und für die Veranstalter Bekräftigung zur Fortsetzung der erfolgreichen Kooperation.
Bei Alles Scripted oder was? handelte es sich um eine gemeinsame Veranstaltung des SWR – Stabstelle Medienkompetenz, der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz und der Katholischen Hochschule Mainz – Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaft in Kooperation mit dem Instituts für Lehrerfortbildung ilf Mainz. Studierende der KH Mainz hatten ein Jahr Zeit, um sich im Rahmen einer medienpädagogischen Zusatzqualifikation im Studiengang Soziale Arbeit die Besonderheiten der aktuell angesagten Formate sowie konkrete Ansätze für die medienpädagogische Beschäftigung in Sekundarstufe I und II zu erarbeiten und die Tagung inhaltlich und praktisch vorzubereiten.